01 - Der Geist, der mich liebte
Problem der Architektur und alles andere hatte ich mir bestimmt nur eingebildet. Kein Wunder. Nach der langen Fahrt war ich müde gewesen, außerdem war die Umgebung fremd. Da sieht man schon mal Gespenster. Also behielt ich mein, hoffentlich eingebildetes, Geisterproblem für mich.
Eine Weile schwärmte mir Tess noch von diversen Autoren vor, deren Bücher zum Thema Parapsychologie sie besonders faszinierend fand, dann ging sie dazu über, mir alles über Cedars Creek zu erzählen. Binnen kürzester Zeit wusste ich, wer zur Schwatzhaftigkeit neigte, wer offen und ehrlich und vor wem man besser auf der Hut war. Nicht dass das für mich wichtig gewesen wäre, hatte ich doch nicht vor, länger zu bleiben, geschweige denn Kontakt zu den Bewohnern zu knüpfen. Trotzdem machte es Spaß, Tess zuzuhören. Ihre Geschichten waren witzig und unterhaltsam und ich begann ihre offene Art immer mehr zu mögen. Wir gönnten uns eine Runde Nachtisch: zwei große Stücke
Apfelkuchen und noch mehr Coke. Tess erzählte so viel über Cedars Creek und auch von sich selbst, dass ich bald das Gefühl bekam, nicht zum ersten Mal hier zu sein. Mir kam es vor, als würde ich Tess schon viel länger als nur ein paar Stunden kennen.
Natürlich quetschte sie mich über das Leben in der Stadt aus. Sie wollte wirklich alles wissen. Obwohl ich die Großstadt mochte, übertraf Tess' Begeisterung meine um Längen. Sie ereiferte sich so sehr, dass ich nur hoffte, sie würde nicht enttäuscht sein, wenn sie eines Tages in eine große Stadt zog und vielleicht feststellen musste, dass nicht alles so toll war, wie sie sich das vorstellte.
Als wir später das Diner verließen und ich Tess zurück zur Bibliothek folgte, um die Bücher zu holen, tauschten wir Telefonnummern aus und vereinbarten, uns bald wieder zu treffen. Es überraschte mich, wie schnell ich mich mit Tess angefreundet hatte. Auch wenn ich bis vor Kurzem kein Interesse an Kontakten gehabt hatte, gefiel mir plötzlich der Gedanke, zumindest eine Freundin hier zu haben.
Nachdem wir uns verabschiedet hatten, kehrte ich zum Käfer zurück. Ich warf die Bücher auf den Rücksitz und beschloss, dass es an der Zeit war, mir den Cedars-Creek-Superstore anzusehen.
Für einen Ort wie diesen war der Supermarkt erstaunlich groß. Hier gab es alles - naja, fast alles -, was ich in den großen Läden in Minneapolis auch bekam. Ich lud meinen Einkaufswagen mit Konserven, Getränken, tiefgekühlten und frischen Lebensmitteln voll, machte einen Abstecher zu den Süßigkeiten, um ein wenig Nervennahrung in meinen
Wagen zu packen, und ging schließlich zur Drogerieabteilung, um meine Bestände an Shampoo, Duschgel und anderem Kleinkram aufzustocken. Dann schob ich den inzwischen recht schwer lenkbar gewordenen Einkaufswagen zur Kasse.
Ein weißhaariger Mann packte meine Einkäufe in Plastiktüten und stellte sie wieder in den Wagen. Zum ersten Mal an diesem Tag fragte mich niemand, ob ich neu hier sei. Die Anonymität hatte mich wieder!
Als ich endlich alles in den Käfer geladen hatte, waren Kofferraum und Rücksitzbank voll. Für heute hatte ich sichtlich genug eingekauft. Höchste Zeit, zurückzufahren und mich an die Arbeit zu machen. Nach einem Blick auf die Uhr war mir allerdings recht schnell klar, dass ich heute nicht mehr allzu viel schaffen würde. Es war schon nach vier. Und wenn schon. Dann würde ich mir eben heute einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher machen und morgen mit der Arbeit beginnen.
Ich warf den Kofferraumdeckel zu und setzte mich hinters Steuer. Als ich den Zündschlüssel herumdrehte, antwortete mir der Motor mit Schluckauf. Beim dritten Versuch sprang er an und ich konnte losfahren. Ich folgte dem Wegweiser einer Umgehungsstraße, die mich an Cedars Creek vorbeiführte. Wenn ich mich nicht völlig verschätzte, würde die Straße geradewegs zwischen dem Berg mit dem Herrenhaus und Tante Fionas Haus entlangführen.
Schnell ließ ich die letzten Häuser hinter mir und fuhr eine mit Ahornbäumen gesäumte Allee entlang. Das Ortsschild lag keine zwei Meilen hinter mir, da begann der
Motor zu stottern. Der Wagen wurde langsamer, bis er nur noch vorwärtsruckte und schließlich liegen blieb. Fluchend drehte ich den Schlüssel herum, doch der Motor gab nur noch ein heiseres Röcheln von sich.
Wie konnte das sein? Der Käfer hatte mich noch nie im Stich gelassen! Mein Blick fiel auf die Armaturen und blieb an der Tankanzeige hängen. Kein Benzin mehr. Der Käfer hatte
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