01 - Der Geist, der mich liebte
»Öffnen von alten Kellertüren« überfallen konnte, stieß ich sie auf. Die Scharniere quietschten grauenerregend. Ein kleiner Lichtschimmer vom Gang strömte in den Raum und verwandelte die Dunkelheit darin in eine nicht weniger unangenehme Düsternis. Spöttisch starrte mir das Halbdunkel entgegen, als wollte es sagen: Du traust dich nicht!
Ich traute mich. Nachdem ich einen letzten Blick in den Gang geworfen hatte, trat ich ein und betätigte den Lichtschalter. Zäher gelber Schimmer floss durch den niedrigen Raum, ohne ihn gänzlich der Dunkelheit zu entreißen. Sonnenlicht wäre mir zweifellos lieber gewesen, doch das war immer noch besser als zum Beispiel der spärliche Schein einer Taschenlampe.
Mein Blick fiel auf die Leintücher, die die Regale an den Wänden - und die Tür zum Tresorraum - verhüllten. Ich ging an den aufgestapelten Tischen vorbei, geradewegs auf die Laken zu. Mit einem entschiedenen Ruck griff ich nach
einem und zog es weg. Dahinter kam ein schiefes Holzregal zum Vorschein. Falsches Laken. Ich packte das nächste und hielt die Luft an, als sich mir der Blick auf die Stahltür eröffnete. Höchste Zeit für den Geheimschlüssel.
Ich zog ihn aus der Hosentasche, steckte ihn ins Schloss und drehte ihn herum. Die Mechanik klickte vernehmlich. Ich betätigte den Mechanismus und zog die Tür auf. Sie war schwer und ließ sich nur mühsam bewegen. Kaum war der Spalt groß genug, schaltete ich das Licht an. Nie im Leben hätte ich geglaubt, dass grelles Neonlicht einmal eine derart beruhigende Wirkung auf mich haben könnte. Die Helligkeit war eine Erleichterung, die sofort wieder ein wenig von der beklemmenden Enge des Raumes zunichtegemacht wurde.
Eine Weile stand ich in der Tür und ließ meinen Blick über die beiden Regalreihen zum hinteren Ende wandern. Dort lagen die Bücher, die ich brauchte. Das hoffte ich zumindest inständig.
Endlich überwand ich mich und trat in den Tresorraum. Zum ersten Mal fragte ich mich, in welchen Sprachen derartige Schriften verfasst sein mochten. Waren sie modern genug, dass ich sie entziffern konnte, oder würde ich gleich auf Latein, Griechisch oder sonst etwas blicken, was ich nicht einmal ansatzweise verstehen konnte? Um das herauszufinden, gab es nur einen Weg. Nachsehen! Draußen knarrte eine Diele. Ich erstarrte mitten im Schritt.
»Holz bewegt sich, du dumme Kuh«, zischte ich mir selbst zu.
Allmählich machte mich meine eigene Angst wütend.
Täglich gingen Tausende von Leuten in dunkle Keller oder Gewölbe, ohne dass ihnen etwas zustieß. Die wenigsten würden sich überhaupt Gedanken über die Dunkelheit, knarrende Balken oder andere Geräusche machen. Nur ich stand hier und zuckte bei jedem noch so kleinen Laut zusammen. Zu meinen Gunsten ließ sich immerhin anführen, dass vermutlich außer mir niemand versuchte, ein Buch zu finden, das es ermöglichte, einen ausgesprochen realen und bedrohlichen Geist zur Hölle zu schicken. Die meisten gingen sicher bloß zum Kartoffelnholen in den Keller.
»Also an die Arbeit«, seufzte ich, nachdem ich mich wieder ein wenig beruhigt hatte, und wandte mich zuerst dem Regal zu, in dem ich das Buch gesehen hatte, das Tess für die Beschwörung benutzt hatte. Vielleicht würde mir das weiterhelfen. Ich ging zu der Stelle, wo es beim letzten Mal gestanden hatte, und bückte mich danach, als ein Schatten auf mich fiel.
Ich fuhr herum.
Nicholas stand im Eingang zum Tresorraum, groß und bedrohlich, das Gesicht in den Schatten zwischen Neonlicht und halbdunklem Keller verborgen. Mein Puls raste, meine Knie zitterten. Ich zwang mich zur Ruhe. Er konnte mir nichts tun. Trotzdem versetzte mich seine Anwesenheit in Panik. Ich musste hier raus! Am besten irgendwohin, wo viele Leute waren.
Ich riss das Buch aus dem Regal. Er versperrte mir den Weg. Das war mir egal. Ich war schon einmal durch ihn hindurchgelaufen. Meine Finger klammerten sich um das Buch. Auf die schneidende Kälte gefasst, stürmte ich auf ihn
zu. Ich prallte gegen ihn und wurde zurückgeworfen. Das Buch fiel mir aus der Hand. Ich stolperte ein Stück zurück, bevor ich mein Gleichgewicht wiederfand. Entsetzt starrte ich ihn an.
Deshalb hatte ich die Kälte nicht spüren können! Er war ... materiell. Körperlich. Ich konnte ihn berühren. Ich war geradewegs gegen ihn geknallt. Mein Puls begann zu rasen. Wenn ich ihn berühren konnte, konnte er es umgekehrt auch!
Er trat in die Kammer. Ich wich zurück.
»Sam, bleib stehen!«
Nichts
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