01 - Der Ring der Nibelungen
ihn mit der Zeit stumpf würde wie ein Schwert im Regen. Gunther hatte nicht vor, ihr das zu erschweren, indem er in Vergangenem stocherte.
Die Königin sah nun Siegfried an. »Es betrübt uns ein wenig, dass Ihr schon bald abreist, wie man hört. Die Zustimmung meines Gatten vorausgesetzt, spreche ich die Einladung aus, dass das Königspaar von Xanten und Dänemark bei Hof immer willkommen ist.«
Ein kurzes Nicken Gunthers machte das Angebot offiziell, und mit gesenktem Haupt nahm Siegfried es an. »Unsere Reiche werden immer in Freundschaft verbunden sein, und wenn die Staatsgeschäfte es erlauben oder ein Freudentag den Anstoß unserer Kelche verlangt, erwartet unsere Schiffe in Eurem Hafen. Und ohne Kriemhild fragen zu müssen, weiß ich, dass die Offerte auch von unserer Seite gilt.«
»Ihr solltet Eure Frau dennoch fragen«, schlug Brunhilde vor. »Jede Gattin zieht es vor, gefragt zu werden, bevor eine Entscheidung gefällt wird.«
Ihr Blick ging nicht zu Gunther, dem das Wort offensichtlich gewidmet war. Auch Siegfried verstand den Doppelsinn und zog es vor, nicht durch seine Anwesenheit weitere Unbill zu verursachen. Er nickte respektvoll. »Ich werde nachschauen, ob Kriemhild Hilfe bei den Reisevorbereitungen benötigt.«
Er verließ den Saal und nahm doch die schwammige Unruhe nicht mit, die in der Luft lag. Gunther tat, als lese er die Papiere, die Brunhilde ihm gegeben hatte, und fast beiläufig murmelte er: »Ich sehe, es geht dir gut.«
Brunhilde, in Dokumente vertieft, antwortete mit demselben Gleichmut. »Du hast mich unterworfen, und nach der Kriegerin gehört nun auch die Frau Brunhilde dir. Du wirst mich ohne Freude in deinem Bett finden, aber finden wirst du mich.«
Nicht gerade eine Absolution, fühlte Gunther dennoch eine Beruhigung. »Ich möchte, dass du weißt, dass ich gewöhnlich nicht so bin.«
Sie blickte ihn an, harmlos, fast freundlich. »Darauf setze ich. Denn solltest du mich je wieder schänden wollen, wird Blut fließen. Kann ich dein Leben dann nicht nehmen, wird es mein eigenes sein.«
Damit wandte sie sich wieder der Arbeit zu, ohne die Stimme nur ein einziges Mal erhoben zu haben.
»Es ist, als könnte ich in meiner eigenen Burg kaum ein offenes Wort mehr sprechen«, fluchte Gunther, und seine Faust hieb gegen einen Baum, dass die Rinde brach.
Hagen blieb ruhig, die linke Hand wie immer auf dem Schwertknauf. »Mussten wir uns deshalb wie Verschwörer an diesem heimlichen Ort treffen? Ist der König unerwünscht in den eigenen Mauern?«
Sie standen auf einem kleinen Hügel nördlich der Burg, ihre Pferde hatten sie angebunden.
»Es ist Siegfried, alles Siegfried«, knurrte der König. »Seine unchristliche Zaubermacht erhebt ihn über alle, und ein loses Wort aus seinem Mund könnte mich jederzeit vernichten.«
»Nur weil seine Hand die Eure auf dem Feld aus Feuer und Eis führte?«, fragte Hagen, und auf Gunthers überraschten Blick ergänzte er: »Es ist meine Aufgabe, Euer Wohlbefinden im Auge zu haben . . . «
»Für einen Mann mit einem Auge siehst du mehr, als schicklich scheint«, sagte Gunther nicht ohne Respekt.
»Vielleicht habe ich den Kampf nur besser als alle anderen beobachtet«, fuhr Hagen fort. »Es ist nicht wichtig, was Siegfried tat. Der Sieg in Island ist Euer Sieg, und Siegfrieds Wort zählt nicht mehr als das des Königs von Burgund. Jederzeit werde ich beschwören, dass der Xantener während des Duells nicht von meiner Seite gewichen ist.«
Gunther legte ihm die Hand auf die Schulter. »Guter, alter Hagen. Deine Ergebenheit scheint die einzige, die weder von Ebbe und Flut, noch von den Jahreszeiten abhängig ist. Doch ginge es nur um jenen Tag im Norden, meine Sorgen wären gering. Ich stehe aber noch weit tiefer in Siegfrieds Schuld.«
»Sprecht frei heraus, und gemeinsam können wir versuchen, diese Schuld zu tilgen«, sagte Hagen. »Der König von Burgund muss in niemandes Kreide stehen.«
Gunther sah zu seiner Burg, die auf die Entfernung friedvoll schien und ein sorgenfreies Leben versprach. Er hatte keine Wahl, als dem Mann, der schon seinen Vater beraten hatte, vollends zu vertrauen. »Ich musste Siegfrieds Hilfe suchen, um meine eigene Königin im Schlafgemach zu unterwerfen.«
Hagen durchdachte die Tat und ihre möglichen Konsequenzen, bevor er nachfragte: »Weiß Brunhilde von Siegfrieds Komplizenschaft?«
Gunther schüttelte den Kopf, froh, nicht wieder mit einem Vorwurf bedacht zu werden. »Nein, sie ist
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