01 - Der Ring der Nibelungen
und ihren Atem beschleunigten. »So hat sie ihn in der Hochzeitsnacht mit Schlägen davongetrieben?«
Siegfried nickte im Schmerz der Erinnerung. »Und der einzige Ausweg, der Gunther einfiel, war die Fortführung der üblen Posse.«
Langsam formten sich Bilder in Kriemhilds Kopf, die einander umschlangen, miteinander tanzten und schließlich im Reigen eine Geschichte erzählten. »Du warst nicht in ihrem Zimmer«, flüsterte sie mit seltsam spröder Stimme.
Sein Nicken schnitt sie wie vom Hals bis zu den Schenkeln, Forderung schlich sich in ihren Tonfall. »Sag mir, dass du heute Nacht nicht in ihrem Zimmer warst.«
Siegfrieds Stimme brach. »Willst du die Lüge und mit ihr die Pest, die unser Leben krank machen wird?«
Kriemhild war zu angewidert, um auch nur den Funken des Verständnisses in ihrem Herz zu finden. »Hast du Brunhilde genommen?«
Siegfried sah sie mit rot geränderten Augen an. »Nein! Niemals! Ich hielt nur ihren Körper, während . . . Gunther . . . «
Seine Komplizenschaft war nicht weniger erbärmlich als die Tat des Königs, und so schwieg er, von sich selbst entsetzt.
»Geh aus meinem Zimmer«, flüsterte Kriemhild erstickt.
Ihr Mann und König verstand nur zu gut, warum sie ihn nicht bei sich wollte. Doch sein Wunsch nach Verzeihung war größer. »Meine Liebe, ich dachte, alles wäre . . . für uns.«
»Geh, bis ich es ertragen kann, dass mein Geliebter mit meinem eigenen Bruder den Leib einer Frau geschändet hat in unserer Hochzeitsnacht. Und wenn es nie sein wird, so nimm es hin.«
»Was soll ich jetzt tun?«
Es lag keine Liebe mehr in ihren Augen. »Leg dich zu den Schweinen, denen du mir heute Nacht viel näher scheinst als allen Männern.«
Gebrochen stand Siegfried auf und ging langsam zur Tür. »Wenn der Morgen graut«, sagte Kriemhild zum Abschied, »solltest du die Abreise nach Xanten vorbereiten - in diesen Mauern weile ich nur noch, bis unser Besitz auf Karren Platz gefunden hat.«
Siegfried hatte sich geirrt - das Gesagte vergiftete die Luft am Hofe Burgunds ebenso wie das Ungesagte. Obgleich die Hochzeitsfeiern eine frohe Stimmung hätten hinterlassen sollen, fand die Sonnenscheibe die Burg in der gedrückten Stille von Hass und Missgunst.
»Und du bist sicher, dass ihr schon in wenigen Tagen abreisen müsst?«, fragte Gunther, obwohl er Siegfrieds Antwort ahnte. Der Herrscher von Burgund saß auf seinem Thron, ungeduldig mit den Fingerspitzen an den Armlehnen kratzend.
Der König von Xanten nickte. »Es ist Kriemhilds Wunsch, und außerdem - du selbst hast immer betont, dass die Reiche ihren König brauchen. Es werden Jahre vergehen, bis Xantens und Dänemarks Wunden, von Hjalmar beigebracht, verheilt sind.«
»Du hast meiner Schwester nicht von letzter Nacht erzählt?«, fragte Gunther misstrauisch.
Siegfried schüttelte den Kopf. »Doch Kriemhild ist so klug, wie ich es mir immer von meiner Frau gewünscht habe. Auch wenn sie nicht weiß, was geschah, so ahnt sie doch, dass es etwas Furchtbares gewesen sein muss.«
»Furchtbar«, zischte die König. »Furchtbar, dass ich die Liebe meiner Frau in der Hochzeitsnacht verlangt habe? Furchtbar, dass ich nehmen musste, was mein ist?«
Siegfried antwortete nicht darauf, denn die Fragen dienten nur dazu, Gunthers schlechtes Gewissen zu beruhigen. Er wusste, wie grausam seine Tat gewesen war, und seine befleckte Seele wand sich in Qualen darüber.
Harte Schritte auf dem Steinboden waren zu hören. Es war die Königin von Burgund, die aufrecht herantrat und sich auf den Thron zu Gunthers Rechten setzte. »Mein König.«
Er nickte ihr unsicher zu und versuchte in den Augen zu lesen, die fest ins Leere zu blicken schienen. »Meine Königin.«
Brunhilde reichte ihm einige Unterlagen. »Zwar gesteht das Volk uns Zeit zur Feier zu, aber es wäre vielleicht angebracht, die wichtigsten Tagesgeschäfte ab heute wieder zu übernehmen. Von der Kanzlei habe ich mir diese Listen zusammenstellen lassen. Es geht um Landstreitigkeiten, veraltete Gesetze und die Freistellung verschiedener Berater, die für die Zusammenlegung der Verwaltung von Island und Burgund von Nutzen sein können.«
Zwar überraschte ihn Brunhildes formelle Art und die Zielstrebigkeit ihrer Regentschaft, aber Gunther war auch erleichtert, denn zu regieren, das verstand er. Es machte ihm nichts aus, dass seine Königin ihre Gefühle verbarg, denn er war sicher, dass diese wenig angenehm waren. So ergab sich die Gelegenheit, dass Brunhildes Wut auf
Weitere Kostenlose Bücher