01 - Ekstase der Liebe
Vielleicht hat sie die Fliege gemacht«, meinte Jack.
»Abgehauen,
die? Nie«, sagte Mall entrüstet. »Wer würde son Kerl wie den verlassen, einen
Grafen und all das, und selbst wenn er ein Weichei ist, was macht's der schon
aus?«
Jack
runzelte die Stirn. Es verletzte seinen Sinn für Anstand, sich eine Frau
vorzustellen, die sich aus solchen Dingen nichts machte.
»Nun
ja, Mall«, begann er wichtig, aber dann geriet die Menge in Bewegung. Wie eine
Welle ging ein Raunen durch die Reihen, als sei plötzlich ein Schwarm Stare auf
einem Weidezaun gelandet. Die Braut war angekommen.
In der
Kutsche ihres Vater saß Charlotte vollkommen still da. Sie war nervös und konnte
nicht aufhören, vor sich hin zu lächeln. Ihre Mutter auf dem gegenüberliegenden
Sitz hatte bereits angefangen zu weinen. Aber Charlotte machte sich deshalb
keine Sorgen, bei den Hochzeiten ihrer Schwestern hatte ihre Mutter die ganze
Zeit geweint. Adelaide schluchzte laut auf.
»Marna«,
protestierte Charlotte halb lachend. »Wir sind da, wir sind vor der Kirche.«
Marcel
zwickte seine Frau liebevoll in den Arm. »Denk jetzt daran, worüber wir
gesprochen haben, Addie«, sagte er leise. »Du kannst die ganze Nacht weinen,
aber jetzt Schluss damit.«
Adelaide
riss sich zusammen und schauderte leicht. Marcel hielt es für sehr wichtig,
dass sie nicht weinte, da man das so auslegen könnte, dass ihr die
Eheschließung nicht gefiel. Aber wer könnte etwas gegen diese Eheschließung
haben. Lieber Alexander, liebe Charlotte: Sie waren so verliebt.
Zuerst
tauchte die Herzogin mit wahrhaft königlichem Gebaren aus der Kutsche auf. Sie
schritt am Arm ihres Cousins mütterlicherseits, des Marquis von Dorchester, in
die Kirche. Aus der folgenden Kutsche entstieg eine der Schwestern der Braut
mit ihrem Mann, dem Marquis von Blass. Noch eine Schwester und der Bruder der
Braut folgten: Die Zeitungen hatten berichtet, dass sie nur wegen der Hochzeit
den weiten Weg von Amerika gekommen waren. Und schließlich stieg der Herzog von
Calverstill selbst aus seiner Kutsche und blieb an der Tür stehen.
Als
Charlotte an der Kutschentür erschien und ein Lakai in Livree ihr vorsichtig
heraushalf, herrschte einen Moment lang Totenstille, ein auf Londons lauten,
überfüllten Straßen sehr seltenes Phänomen. Dann brach die Menge in einen
Begeisterungssturm aus.
Antonin
Carême hatte sich selbst übertroffen. Charlottes Kleid war durch und durch
französisch, im Empirestil. Aber es war aus sehr, sehr schwerer Seide, nicht
aus Carêmes üblichen leichten Stoffen. Es hatte ein klassisches kleine s
Oberteil, das knapp unter Charlottes Brüsten endete, doch der Rock war eher
schmal als leicht und fließend. Die schwere Seide fiel und fiel, Charlotte
schien nur aus Beinen und Busen zu bestehen. Am Rücken befand sich eine winzige
Schleppe, deren Gewicht Charlottes Gang etwas Getragenes verlieh. Die größte
Überraschung jedoch waren die dicht auf die weiche Seide gestickten kleinen
Smaragde, die wie ein Teil des Gewebes wirkten. Charlotte war unglaublich
schön. Smaragde glitzerten in ihrem Haar und funkelten auf ihrem Kleid. Carême
selbst hatte Tränen vergossen, als er der letzten Anprobe an diesem Nachmittag
beigewohnt hatte. Seine Zukunft war gesichert, doch er weinte, weil er wusste,
dass er nie wieder eine so zauberhafte Braut einkleiden würde.
Charlotte
verspürte einen Augenblick lang Panik, als sie unter dem schweren, steinernen
Torbogen über dem Eingang der Westminster Abbey hindurchging. Was, wenn Alex es
sich anders überlegt hatte? Was, wenn er sie doch nicht heiraten wollte? Aber
dort stand er, vorn in der Abtei. Sie atmete tief durch und begann ihren langen
Gang zum Altar.
Die
Orgelmusik wurde leicht und fröhlich, um die Ankunft der Braut anzukündigen.
Und die Londoner Gesellschaft staunte mit offenem Mund, als sie Charlotte sah.
Alex
stand vom in der Kirche, den Blick auf Charlotte geheftet. Er hatte in seinem
ganzen Leben keine so schöne Frau gesehen. Er brauchte seine ganze
Selbstbeherrschung, um nicht den Gang hinunterzustürzen und sie auf seine Arme
zu nehmen. Er stand stocksteif da. Lucien Boch, der wegen der Abwesenheit von
Alex' Bruder Patrick (der immer noch den Orient bereiste), als Trauzeuge
fungierte, schnappte nach Luft. Alex warf ihm einen Blick zu.
»Du
hast Glück«, meinte Lucien einfach, »die Sterne sind dir gewogen.«
Alex
lächelte. Lucien hatte die wunderbare Eigenschaft, verwickelte Dinge kurz und
knapp auf das
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