01 - Ekstase der Liebe
»Aber weißt du was, Charlotte?«, sagte
sie. »Seine Lippen waren ziemlich feucht und es war ekelhaft ... ich weiß
nicht, was über mich gekommen ist! Den Vikar zu küssen!« Sie kicherte wieder.
Charlotte
hörte ihr wortlos zu. Was war mit ihr los? Immerhin kannte Julia Mr Colby,
vergötterte ihn sogar. Und trotzdem hatte Julia nicht den Kopf verloren. Sie
wussten beide, dass Lady Brentorton ihre Reaktion auf den Kuss des Vikars
gutheißen würde, sollte Julia ihrer Mutter jemals davon erzählen, was natürlich
außer Frage stand.
Aber
sobald ein Fremder, ein vollkommen Fremder, Charlotte aus heiterem Himmel
küsste, sank sie in seine Arme und verlangte nach mehr. Auf diese Weise trennte
Charlotte ihr Schuldgefühl von ihrem Ärger. Wie schlecht musste dieser Mann
sein! Er musste gedacht haben ... sie wollte nicht daran denken, was er gedacht
haben musste, und bedeckte rasch ihre glühenden Wangen mit den Händen.
Erst
als es gegen zwei Uhr nachmittags in dem riesigen Haus still geworden war,
begann Charlotte zu weinen. Julia war mit ihren Eltern ausgeritten und ihr
Mädchen war unten in der Küche. Charlotte durchtränkte ihr Kissen mit Tränen:
Sie weinte um den Ehemann, den sie nie haben würde, um die Kinder, die sie sich
gewünscht hatte, und über die Ungerechtigkeit, dass sie, Charlotte, wie sie
hatte feststellen müssen, eine unersättliche Frau war. Sie würde sich von
Männern fern halten müssen, dachte sie schließlich, nachdem sie lange Zeit
verzweifelt geweint hatte. Sie konnte sich selbst nicht trauen, das war
offensichtlich. Und sie durfte nicht zulassen, dass ihre Schande bekannt wurde;
ihre Eltern wären untröstlich.
Endlich
stand sie auf und klingelte, um ein Bad zu nehmen. Sie schickte das Mädchen aus
dem Zimmer, weil sie nicht sicher war, ob es noch weitere Anzeichen für ihre
Entehrung gab. Sie schien jedoch nicht mehr zu bluten.
Erst ah
sie zurückgelehnt in dem dampfenden Wasser lag, erinnerte sich Charlotte an
ihre Bilder und eingedenk der Veränderungen, die ihre Welt in den letzten
Stunden erfahren hatte, war ihr das ein ruhender Pol. Da sie keinen Ehemann und
keine Kinder haben würde, konnte sie richtig malen lernen. Frische Leinwand und
feuchte Farbe würden der Mittelpunkt ihres Leben werden und sie weit von der
Demütigung entfernen, die sie im Augenblick empfand. Der Gedanke - der
Plan besänftigte das quälende Gefühlschaos in ihrem Innern; sie stieg aus der
Wanne und gestattete Julias Mädchen, die Knöpfe ihres schlichten weißen Kleides
zu schließen.
Kapitel 2
So wie die Welt für
Charlotte in ein Davor und ein Danach zerfiel, war es auch für ihre Mutter. Als
Charlotte am nächsten Tag zu dem Haus am Albemarle Square zurückkehrte, war sie
äußerst wortkarg. Sie sah ihre Mutter mit so tränenlosen, düsteren Augen an,
dass diese nicht wusste, ob sie sie schütteln oder in Tränen ausbrechen sollte.
Was um Himmels willen war mit Charlotte geschehen? Sie war nicht mehr sie
selbst, wie die Herzogin zu ihrem Mann sagte. Charlotte wurde launisch und
sogar schroff.
Um die
Wahrheit zu sagen, Adelaide war erschöpft, zu erschöpft, um sich mit einer
neuen, reizbaren Charlotte auseinander zu setzen. Debüts waren anstrengend: Die
Planung hatte Wochen gedauert und just in dieser Woche hatte Gunther viel
Wirbel um das Eis verursacht: Sie hatte zartviolettes Eis bestellt und er war
mit einer dunkellila Probe erschienen. Der Lakai, dem aufgetragen worden war,
den Kronleuchter zu reinigen, zerbrach siebzehn Kristallanhänger, bevor jemand
bemerkte, dass er völlig betrunken war. Das neue Kleid, das sie bestellt hatte
(aus blauem mit weißen Fleur-de-lis besticktem Samt), war
scheußlich. Die Ärmel waren zu kurz und viel zu eng und das Überkleid hing
schlaff herunter, so dass sie alt und matronenhaft aussah. Also musste sie
Madame Flancot viermal so viel bezahlen, damit sie praktisch über Nacht ein
neues, rosa Brokatkleid kreierte.
Und
dann, einen Tag vor dem Ball, verkündete Charlotte, dass sie nicht vorhatte, zu
irgendwelchen Bällen zu gehen, ihr eigenes Debüt eingeschlossen. Adelaide
starrte sie ungläubig an und wandte sich schroff an Charlottes Mädchen.
»Hol
bitte Violetta, Marie. Und danach kannst du gehen.«
Marie
glitt aus dem Zimmer. Ihre Herrin musste verrückt geworden sein. Das
wunderschöne Kleid! Wie konnte sie auch nur daran denken, es nicht zu tragen?
Charlottes
Schwester schlenderte mit der Gelassenheit einer Frau in das Schlafzimmer, die
zwei
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