01 - Ekstase der Liebe
er, dass als er, Alex, Charlotte auf meinem Ball
begegnete, sie ihn für seinen jüngeren Bruder hielt.«
»Sie
sind zu hart, Sarah«, gurrte Lady Cucklesham. Sie zog es vor, jederzeit einen
sanften Ton beizubehalten. »Warum sollte jemand so taktlos sein und das
Schlimmste über diese zärtliche Geste denken, als sie ihm mit ihren Fingern
über die Wange gestrichen hat, wenn man davon ausgeht, dass sie sich bereits
kannten.«
»Unsinn«,
meinte Sylvester beherzt. »Das ist ein Haufen Unsinn, Sarah, und Sie sollten
das nicht wiederholen. Charlotte ist Patrick Foakes nie zuvor in ihrem Leben
begegnet.«
»Ja,
ja, Sie haben Recht, Lord Bredbeck«, sagte Lady Cucklesham. »Sarah, meine
Liebe, Sie dürfen kein Wort darüber verlieren, dass Charlotte sehr gut mit dem
jüngeren Bruder des Grafen bekannt war, bevor er ins Ausland ging, weil ich
darauf schwören könnte, dass sie sich in Wahrheit nur einmal begegnet sind oder
einmal miteinander getanzt haben ... oder etwas Ähnliches.«
Sylvester
Bredbeck warf Lady Cucklesham einen Blick voller Abscheu zu. Er hatte sie schon
immer für einen aufgeblasenen Hohlkopf gehalten und dass sie sich jetzt in eine
Ehe mit einem vierzig Jahre älteren Mann gemogelt hatte, hatte ihrem Charakter
bestimmt nichts Gutes getan.
Sylvester
verbeugte sich steif und verließ das Hauskonzert. Es würde keinen Unterschied
machen, ob er Charlotte weiter verteidigte; besser Gras über die Sache wachsen
lassen, dachte er.
Aber
die Londoner Gesellschaft war sehr zusammengeschrumpft, da sich die Saison zum
Ende neigte. Es gab nicht viel, worüber man reden konnte. Die Pärchen, die sich
in dieser Saison finden würden, hatten sich bereits gefunden, die Dokumente
waren unterzeichnet, die Paare sahen glücklich oder unglücklich vierzig
Ehejahren entgegen. Vor etwa zwei Wochen war ein Paar durchgebrannt, aber das
Ganze hatte nach Meinung aller einen sehr unbefriedigenden Ausgang genommen -
die junge Braut war auf das Land verbannt und der Bräutigam aufs Festland
geschickt worden.
Deshalb
wusste bis zum nächsten Abend jedes Mitglied der Londoner Gesellschaft, das
etwas auf sich hielt und bei dem neuesten Klatsch auf dem Laufenden blieb, dass
die Gräfin von Sheffield und Downes, die erst seit wenigen Wochen allein war,
den Bruder ihres Mannes äußerst zärtlich und liebevoll begrüßt hatte, ja bei
seinem Anblick sogar vor Glück in Ohnmacht gefallen war. Und obwohl niemand
sich wirklich daran erinnern konnte, sie in Charlottes erster Saison
miteinander tanzen gesehen zu haben, entstand über Nacht der Mythos von einer
kurzen, aber leidenschaftlichen Romanze, bevor Patrick in den Fernen Osten
beordert wurde.
»Nur
sehr herzlose Menschen«, stellte Lady Skiffing fest, »würden Charlotte
vorwerfen, dass sie den älteren anstelle des jüngeren geheiratet hat. Denn
schon aus praktischen Gründen würde kein Mädchen einen jüngeren Sohn heiraten,
wenn der Erstgeborene um seine Hand anhält.«
Der
kleine Kreis um sie hielt das für eine sehr gerechte Beobachtung. »Sie sind so
gutherzig, meine Liebe«, meinte Lady Prestlefield genüsslich.
»Ja,
wirklich«, pflichtete Sir Benjamin Tribble bei. »Menschen, die nicht Ihre
Nachsicht besitzen, Lady Skiffing, könnten sich über Alex' frühere Eheprobleme
wundem ...«
»Das
ist genau das richtige Beispiel dafür, wie hartherzig manche Menschen sein
können«, rief Lady Skiffing. »Es ist ein großer Trost für mich, dass keiner von
uns etwas Taktloses über den Grafen wiederholen würde!«
Der kleine
Kreis dachte zufrieden an die Neuigkeit, die sie verbreitet hatten. Sir Tribble
hatte tatsächlich durch seine Anwesenheit beim Wiedersehen der Liebenden einen
gewissen Ruhm erlangt. Tribble konnte gut reden und sein Bericht über das
weiße, flehende Gesicht der Gräfin, als sie mit zitternden Fingern Patricks
Gesicht berührte, war wirklich sehr ergreifend.
Deshalb
glaubte bis zum Ende der Woche ganz London, dass Patrick Charlottes Herz
gebrochen hatte, weil er in den Fernen Osten gegangen war, ohne sie zu
heiraten, und dass die Hochzeit mit Alex nur ihre zweite Wahl war. Es nützte
nichts, dass ihre Mutter bei jeder Gelegenheit protestierte und sagte, dass an
der Geschichte nichts Wahres sei, und dass ihre Freundin Sophie York (»selber
ein bisschen ungestüm«, wie dieselben herzlosen Leute sagen könnten) hartnäckig
darauf bestand, dass Charlotte Patrick lediglich mit ihrem Gatten verwechselt
hatte.
Charlotte
wusste nicht, was sie tun sollte.
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