01 - Ekstase der Liebe
Er bemerkte plötzlich, dass im Raum Totenstille
herrschte. Er blickte Boch, den er heute Abend zum ersten Mal sah,
durchdringend an. »Wie lange sind Sie schon in diesem Land?«, fragte er scharf.
Boch
schluckte schwer. »Acht Jahre, Mylord.« Seine Marquise, dachte Alex, hatte ihn
nicht begleitet. Sie musste unter der Guillotine gefallen sein. Er warf den
Ring in die Luft, fing ihn wieder auf und legte ihn vorsichtig vor Boch. »Hier,
Mann, nehmen Sie ihn.« Er wischte seine restlichen Gewinne zusammen, während
plötzlich Stimmengewirr die Luft erfüllte. Dann wandte er sich zum Gehen.
Eine
Hand hielt ihn zurück. Es war Boch, der um den Tisch herumgekommen war und nun
vor ihm stand, schlank, groß und schwarz gekleidet. »Mylord«, sagte er langsam.
»Ich bin ein Narr und werde ein Leben lang in Ihrer Schuld stehen. Aber wenn
ich auch dumm bin, so mangelt es mir nicht an Geld. Bitte lassen Sie mich Ihnen
den Ring abkaufen.«
Alex
stellte fest, dass Boch nicht so jung war, wie er gedacht hatte, wahrscheinlich
etwa so alt wie er. »Das werde ich nicht tun«, entgegnete er kurz. Boch stand
stocksteif vor ihm. Oh, mein Gott, dachte Alex, der französische Stolz. Der
Mann gefiel ihm eigentlich ganz gut. »Möchten Sie einen Brandy mit mir trinken?«,
fragte er.
Boch
presste die Lippen aufeinander, dann entspannte er sich. »Einverstanden,
Mylord«, antwortete er seufzend. »Ich nehme an, dass Narren sich von ihrer eigenen
Narrheit nicht loskaufen können.«
Als sie
bei einem Kaffee mit einem großzügigen Schluck Brandy in der Bibliothek saßen,
erwähnten die beiden Männer weder Liebe, Ringe noch Frauen, sondern sprachen
freundlich über die neuesten Debatten im Oberhaus. Als exilierter Franzose
hatte Boch natürlich keine Stimme in der Regierung, hegte aber ein großes
Interesse an Politik, vor allem was die drohenden Getreideunruhen betraf.
»Ich
frage nicht«, meinte er, »ob wir die jüngsten Ereignisse in Frankreich hätten verhindern
können. Wenn wir Maschinen für das Getreide gehabt hätten, wie man sie hier zu
nutzen beginnt, hätten wir dann den Zorn der Bauern aufhalten können?«
»Aber
soweit ich weiß«, sagte Alex vorsichtig, »gab es keinen Getreidemangel, sondern
die Bauern durften keines essen, Mit anderen Worten, die Nahrungsmittel wurden
von den Reichen gehortet.«
»Ja,
das ist wahr«, meinte Lucien grüblerisch. »Ich habe meinem Vater gesagt ...« Er
verstummte. »Wir wurden selbstgefällig, und das ist eine große Sünde. Besonders
mein Bruder erkannte die Gefahr. Er kaufte Land in England.« Lucien sah auf.
»Deshalb bin ich nicht so mittellos wie die Mehrheit meiner Landsleute, die in
England leben. Er war sehr intelligent, mein Bruder. Er kam einige Jahre lang
zweimal im Jahr nach England und transferierte langsam einen großen Teil
unseres Besitzes in das Haus hier.«
Alex
bemerkte bei sich, dass auch Luciens Bruder tot war. »Fechten Sie gern?«,
fragte er, um das Thema zu wechseln.
»Für
mein Leben gern«, antwortete Lucien mit lebhafterer stimme.
»Wollen
wir uns morgen treffen?«, fragte er. »Kurz bevor ich Italien verlassen habe,
lernte ich die französische Art zu fechten und ich würde die Gelegenheit, mich
in dieser Kunst zu üben, zu schätzen wissen.«
»Es wäre
mir eine Ehre«, sagte Lucien förmlich. »Morgen, bei Breedhaven?«
Plötzlich
dachte Alex an Pippa. Er konnte Lucien nicht zu einer Fechtübung treffen,
während sie wach war, weil sie das Männern vorbehaltene Gelände des Breedhaven-Fechtclubs
nicht betreten durfte.
»Ich
würde es vorziehen, bei Sheffield House zu fechten, wenn es Ihnen nichts
ausmacht«, erwiderte er ohne weitere Erklärung.
Lucien
blickte verwundert drein. »Natürlich, Mylord«, sagte er. Warum in aller Welt
zog ein Mann es vor, bei seinem eigenen Haus statt auf dem Fechtplatz zu
fechten? Er erhob sich. Für einen Franzosen war er ungewöhnlich groß, so dass
er auf Augenhöhe mit Alex war. Sie würden gute Fechtpartner abgeben, dachte
Lucien zufrieden.
Er
hielt Alex die Hand hin und Alex schüttelte sie, ohne zu zögern. »Wir sehen uns
morgen früh, Mylord«, meinte Lucien. Nach einem kurzen Zögern lächelte er. »Ich
werde meinen Ring nicht mehr in den Spielsalon mitnehmen«, sagte er. »Nicht
viele sind so großherzig wie Sie.« Er verneigte sich tief. »Ich bin Ihnen
wirklich sehr zu Dank verpflichtet.«
»Nennen
Sie mich Alex.« Während der angenehmen Unterhaltung mit dem belesenen Mann
hatte Alex den Vorfall mit dem
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