01 - Ekstase der Liebe
Ring völlig vergessen. Dagegen war der arme alte
Braddon im Laufe der Jahre doch recht langweilig geworden. Der Gedanke kam ihm
noch einmal, als er Braddon in einem der Spielzimmer auftrieb. Braddon hatte
fünfzehn Pfund gewonnen und an die zweihundert verloren. Außerdem war er
betrunken und wackelig auf den Beinen.
»Reiß
dich zusammen«, sagte Alex ungeduldig, als Braddon zur Tür torkelte. Mein Gott!
Der Mann musste mindestens dreißig sein, da Alex selbst einunddreißig war.
Warum wusste er immer noch nicht, wann er genug hatte? Er beobachtete
nachdenklich, wie Braddon zu seiner Kutsche wankte. War das Gesellschaftsleben
vor drei Jahren genauso langweilig gewesen? Natürlich war damals Patrick bei
ihm gewesen. Aber dennoch - was hatten er und sein Bruder den ganzen
Abend getrieben? Sie hatten gespielt, getrunken und sich geprügelt.
Alex
wurde von dem Geräusch nackter Füße, die unsicher in sein Zimmer tapsten, in
seinen Erinnerungen unterbrochen. »Papa!«, rief Pippa glücklich mit ihrem
dünnen Stimmchen. Er öffnete die Augen. Pippa hielt sich an dem schweren
Goldbrokat seines Bettvorhangs fest und lächelte.
Er
beugte sich vor, packte seine kleine Tochter und setzte sie neben sich. Sie
kicherte und krallte sich an den schwarzen Haaren auf seiner Brust fest. Meine
Güte. Er hatte wegen des Hangs seiner Tochter, morgens in sein Schlafgemach zu
kommen, daran denken wollen, ein Pyjamaoberteil zu tragen. Sie wirkte klein und
zart, aber sie konnte fest zupacken und liebte es, an Haaren zu ziehen.
»He!«,
sagte er mit gespielter Strenge. Pippa kuschelte sich in seine Armbeuge und sah
erwartungsvoll zu ihm auf.
»Koka«,
rief sie ungeduldig. »Ich, ich!«
Alex
beugte sich vor und zog an dem mit einer Quaste verzierten Klingelzug neben
seinem Bett. Er hasste die Angewohnheit, im Bett heiße Schokolade zu trinken.
Aber andererseits war er es auch nicht gewohnt, ein einjähriges Kind im Bett zu
haben.
Keating
erschien mit einem Silbertablett in der Tür. Auf dem Tablett standen zwei
robuste Becher, die exakt zur Hälfte mit heißer Schokolade gefüllt waren. Als
Pippa und Alex aus Italien zurückgekehrt waren und Alex enträtselt hatte, was
>Koka< bedeutete, waren zunächst zerbrechliche, bis zum Rand mit wirklich heißer Schokolade gefüllte Wedgewood-Tassen auf dem Tablett
gewesen. Doch nach einer Reihe von Missgeschicken trank Alex inzwischen
gelassen lauwarme Schokolade aus dem Becher eines Dienstboten .
Pippa
schlürfte ihre Schokolade und sang ihr Morgenlied, das Maria ihr beigebracht
haben musste. Alex glaubte, dass es ein italienisches Kinderlied war -
oder gewesen war, aber der Himmel allein wusste, was die Laute zu bedeuten
hatten. Pippas sprachliche Fähigkeiten waren nicht allzu gut, obwohl sie sehr
deutlich >Papa< sagen konnte.
Plötzlich
klammerte sie sich an seinem Arm fest, wobei sie etwas Schokolade auf das Laken
schüttete. »Nein! Nein, Papa, nein!«, sagte sie. Sie war kurz davor, in Panik
auszubrechen, ihr kleiner Körper begann zu zittern. Alex nahm ihre Schokolade,
stellte sie auf den Tisch neben dein Bett und zog sie an seine Brust. Er
flüsterte ihr ins Ohr:
»Pippa,
alles ist gut, weißt du noch? Alles ist gut?« Er strich ihr mit rhythmischen
Bewegungen über den Rücken. »Beruhige dich, Pippa, du weißt doch, dass Papa
dich nicht allein lässt. Ich habe es dir versprochen, weißt du noch?«
Schließlich
sah er auf. Dort in der Türöffnung stand mit entrüstetem Blick das neue
Kindermädchen, das er einen Tag zuvor angestellt hatte.
»Mylord«,
sagte Miss Virginia Lyons und stockte.
Alex
zog seine hochfliegenden Augenbrauen noch höher. »Ja?«
»Mylord,
was macht Lady Philippa hier?«
Alex
sah sie überrascht an. »Warum sollte sie nicht hier sein?«, fragte er. »Es
macht mir nichts aus. Und hier weint sie nicht.«
Miss
Virginia öffnete den Mund und stockte erneut. Sie wusste nicht, wie sie die
Antwort auf eine so grundsätzliche Frage formulieren sollte.
»Kinder«,
antwortete sie schließlich, »soll man zwar sehen, aber nicht hören, und das zu
einem angemessenen Zeitpunkt an einem angemessenen Ort. Die übrige Zeit bleiben
sie im Kinderzimmer.«
»Im
Kinderzimmer schreit sie«, sagte Alex. »Ich habe Ihnen das gestern erklärt. Sie
schreit so laut, dass man sie sogar im Keller hören kann - und das
Kinderzimmer liegt im dritten Stock. Und sie trommelt mit den Füßen auf den
Boden. Das kann ich nicht dulden«, erklärte er vernünftig.
Er sah
Miss Virginia
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