01 - Geheimagent Lennet wird ausgebildet
berührte er auch schon den Boden. Der Aufprall war auch nicht besonders schmerzhaft. Als Lennet die Augen hob, konnte er gerade noch sehen, wie das kreisrunde Loch oben durch eine Platte verschlossen wurde. Einen Augenblick später herrschte Nacht.
Die Angst hatte Lennet nicht verlassen - aber sein Kopf blieb klar, sein Herz hatte die Schläge nicht beschleunigt.
Allem Anschein nach, überlegte er, befinde ich mich in einer Zisterne. Früher mag sie wohl das Haus, das ich dort unten gesehen habe, mit Wasser versorgt haben. Die Männer scheinen mich nicht umbringen zu wollen. Zumindest nicht gleich jetzt.
Entweder sie wollen mich verhören, oder, was wahrscheinlicher ist, sie haben mir die Wahrheit gesagt: Hauptmann Ruggiero hat ihnen geschrieben, daß ich ein erstklassiger Agent bin, und sie beabsichtigen, mich abzuwerben... Aber das alles ist kein Grund, um nicht zu versuchen, hier herauszukommen. Wenn das eine Zisterne ist, müßte es einen Sammelbehälter geben, der hier mündet, und einen Kanal, der von hier seinen Ausgang nimmt.
Vielleicht kann man durch ihn hinauskriechen?
Er erforschte seinen Kerker. Es war ein senkrechter Zylinder von etwa zwei Meter Höhe und zwei Meter Durchmesser. In der Finsternis herumtastend, fand er zuerst in Bodenhöhe ein Loch, das große Steine versperrten. Er machte sich sogleich an die Arbeit, es freizulegen, was nicht viel Mühe kostete. Doch er wurde enttäuscht: Das Loch war kaum groß genug, den Kopf durchzubringen, geschweige denn die Schultern.
Er tastete die Wände weiter ab. Doch da er klein von Wuchs war und der Sammelbehälter wohl hoch oben an der Decke mündete, fand er vorerst nichts.
Dann suchte er den größten Stein aus, lehnte ihn an die Wand und stieg darauf. Auf diese Weise erreichte er die Decke. Er brauchte den Stein nur nach und nach zu verschieben, um das ganze Rund der Zisterne mit den Händen abzutasten.
Es stellte sich heraus, daß die Mündung des Behälters genau der des Kanals gegenüberlag. Leider kam es nicht einmal für Lennet in Frage, durch ein Rohr von zwanzig Zentimeter Durchmesser zu kriechen!
Um sich nichts vorwerfen zu müssen, steckte er trotzdem seine Hand ins Rohr und stieß dabei auf einen Gegenstand, zu dessen Identifizierung er längere Zeit brauchte. Er war aus Metall und flach und trug ein Kettchen...
Eine Erkennungsmarke, stellte Lennet fest. Komisch.
Er ließ sie in seine Tasche gleiten, und da ihm sonst nichts zu tun blieb, setzte er sich in einen Winkel und wartete.
Er wartete lange Zeit, ohne eine andere Zerstreuung zu haben, als die Leuchtzeiger seiner Taschenuhr zu verfolgen und in seinem Gedächtnis die wenigen französischen Worte aufzufrischen, die den beiden Männern entschlüpft waren.
»Programm... Ziel... Sendezeit...« Und mit einem Mal begriff er:
»Die Funkpeilung...!« Dummkopf, der er gewesen war! Die Nachricht, die er heute den feindlichen Agenten überbracht hatte, würde es ihnen ermöglichen, die »Napoleon" bei der zweiten Sendezeit zu torpedieren.
Alles war klar: Der Feind kannte die Existenz des Schiffes »Napoleon". Der Feind wollte seinen Untergang. Daher mußte er es ausfindig machen. Nun änderte das Schiff aber ständig seine Position und war äußerlich nicht zu erkennen. Dazu kam noch, daß selbst sein Kommandant den Kurs nicht im voraus wußte. Ein an Bord geschmuggelter Agent konnte also in dieser Hinsicht nichts erreichen, selbst wenn er Mittel fand, sich mit seinen Auftraggebern in Verbindung zu setzen.
Verfügte man aber über drei Abhörstationen und kannte man die Sendezeiten und die Wellenlängen des Senders auf der »Napoleon", war es ein leichtes, durch Funkpeilung ihre Position zu einer gegebenen Zeit festzustellen. Es würde in der Tat genügen, die Richtungen festzuhalten, aus denen die Radiowellen kamen, und diese Richtungen auf einer Karte einzuzeichnen, um im Schnittpunkt der drei Geraden, die durch die drei Abhörstationen führten, mit Sicherheit die Sendequelle lokalisieren zu können.
Danach würden sich Unterseeboote mit Ultraschallgeräten sofort auf die Jagd machen. Die zweite Sendezeit würde es ihnen ermöglichen, die »Napoleon" aufzuspüren. Und dann brauchten sie nur noch ihre Torpedos auszulösen...
Das alles durch Lennets Schuld!
Er sprang auf die Füße. Verzweiflung erfaßte ihn. Dann ließ er sich wieder nieder. Man mußte, koste es, was es wolle, die Ruhe bewahren. Er schaute auf seine Uhr. Es war bereits neun Uhr früh.
Sein Gedächtnis hatte
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