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01 - Gnadenlos

01 - Gnadenlos

Titel: 01 - Gnadenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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einer verängstigten jungen Frau und einem Vater beibringen, dessen Liebe die härtesten Prüfungen durchgestanden hatte. Nun, er hatte schon heiklere Probleme als dieses bewältigt, sagte sich der Pfarrer. Etwa Scheidungen verhindert. Das Aushandeln von Verträgen zwischen Nationen konnte nicht schwerer sein als die Rettung einer zerrütteten Ehe.
    Dennoch erschien Meyer der Weg zum Eingang schrecklich steil, als er mit der Hand am Geländer die abbröckelnden und abgetretenen Betonstufen hinaufstieg. Oben standen ein paar Eimer mit Farbe. Wahrscheinlich wollte Raymond jetzt sein Haus renovieren, da es wieder eine Familie beherbergte. Ein gutes Zeichen, dachte Pastor Meyer, als er auf den Klingelknopf drückte. Er konnte die zwei Gongtöne hören. Raymonds weißer Ford war direkt vor dem Haus geparkt. Er wußte, daß sie zu Hause waren... aber niemand kam zur Tür. Nun ja, vielleicht war gerade einer von ihnen beim Umziehen oder im Badezimmer oder in sonst einer Verlegenheit, wie es so oft passierte, ausgerechnet, wenn jemand vor der Tür stand. Er wartete noch eine weitere Minute und runzelte die Stirn, als er den Knopf dann wieder drückte. Erst nach einer Weile fiel ihm auf, daß die Tür gar nicht ganz geschlossen war. Du bist Pfarrer, sagte er sich, kein Einbrecher. Mit leichtem Unbehagen stieß er die Tür auf und steckte den Kopf in den Flur.
    »Hallo! Raymond?... Doris?« rief er, laut genug, daß es im ganzen Haus gehört werden konnte. Im WohnzimmerFernseher lief irgendeine hirnlose Spielshow. »Halloooo!«
    Das war merkwürdig. Er trat ein, etwas verlegen, daß er so mit der Tür ins Haus fiel, und fragte sich, was nur los war. Im Aschenbecher glomm eine Zigarette, beinahe bis zum Filter heruntergebrannt, und der senkrecht aufsteigende Rauchfaden war eine deutliche Mahnung, daß hier etwas nicht in Ordnung war. Ein gewöhnlicher Bürger, der seine fünf Sinne beisammen hatte, hätte sich spätestens jetzt zurückgezogen, aber Reverend Meyer war kein gewöhnlicher Bürger. Er sah eine Schachtel mit Blumen geöffnet auf dem Teppich liegen. Drinnen waren langstielige Rosen. Rosen liegen gewöhnlich nicht auf dem Boden herum. Jetzt fiel ihm seine recht unerfreuliche Militärdienstzeit wieder ein, aber dazu gehörten auch die erhebenden Momente, da er sich um die Seelennöte von Männern gekümmert hatte, die den Tod vor Augen hatten - er wunderte sich, daß dieser Gedanke ihm so deutlich in den Sinn gekommen war. Dessen plötzliche Bedeutsamkeit verursachte ihm starkes Herzklopfen. Meyer durchquerte das Wohnzimmer und lauschte. Auch die Küche war leer. Ein Topf mit Wasser stand kochend auf dem Herd; Tassen und Teebeutel befanden sich auf dem Küchentisch. Die Tür zum Untergeschoß stand auch einen Spaltbreit offen, das Licht war sogar an. Jetzt konnte er nicht mehr zurück. Er öffnete die Tür ganz und stieg hinunter. Schon auf halbem Weg sah er ihre Beine.
    Vater und Tochter lagen mit dem Gesicht nach unten auf dem blanken Betonboden, und das Blut aus ihren Kopfwunden hatte auf der unebenen Fläche eine Lache gebildet. Plötzliches Entsetzen überwältigte Meyer. Sein Mund klappte auf, und er zog stoßartig die Luft ein, als er auf diese zwei Gemeindemitglieder hinuntersah, deren Beerdigung er in zwei Tagen durchzuführen haben würde. Er sah, daß Vater und Tochter sich an den Händen hielten. Sie waren zusammen gestorben, aber der Trost daß diese schwer geprüfte Familie nun bei ihrem Gott vereint war, hinderte ihn nicht, einen wuterfullten Aufschrei gegen diejenigen auszustoßen, die erst vor zehn Minuten in diesem Haus gewesen waren. Meyer erholte sich nach einigen Sekunden wieder, lief den Rest der Treppe hinunter und kniete sich hin, berührte die verschränkten Hände und beschwor Gott, ihren Seelen gnädig zu sein. Was das betraf, war er zuversichtlich. Sie habe zwar ihr Leben verloren, aber nicht ihre Seele, und ihr Vater habe die Liebe seiner Tochter wieder zurückgewonnen, würde Meyer bei der Beerdigung sagen. Er würde seiner Gemeinde verkünden, daß beide errettet worden seien, versprach sich Meyer. Doch nun mußte er seinen Sohn anrufen.
    Der gestohlene Blumenwagen wurde auf dem Parkplatz eines Supermarkts stehengelassen. Zwei Männer stiegen aus, gingen, weil sie vorsichtig sein wollten, in den Laden und verließen ihn durch die rückwärtige Tür, um zu ihrem Wagen zu gelangen. Sie fuhren auf der Ausfallstraße nach Südosten und würden in drei Stunden wieder in Philadelphia sein. Es

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