01 - Gnadenlos
- jener Nacht - weggefahren und schlichtweg verschwunden. Da bestand doch ein Zusammenhang. Wo war das Boot gewesen? Wo befand es sich jetzt? Was fällt vom Himmel? Ärger. Genau der hatte sich aus heiterem Himmel eingestellt. Und war so plötzlich verschwunden, wie er gekommen war.
Da merkten seine Frau und sein Sohn wieder, daß Emmet beim Essen ins Leere starrte. Unfähig, seine Gedanken abzuschalten, ging er die Informationen immer wieder durch. Kelly ist gar nicht so anders als ich damals, dachte Ryan.
Die Schreiadler der 101. Infanteriedivision (Luftlandeabteilung), die immer noch in ihren ausgebeulten Hosen herumstolzierten. Emmet hatte als Schütze Arsch begonnen und war gegen Kriegsende in den Rang befördert worden, den er heute noch innehatte: Lieutenant. Er erinnerte sich noch, wie stolz er gewesen war, etwas ganz Besonderes darzustellen.
Ein Gefühl, unbezwingbar zu sein, hatte sich gleichzeitig mit dem Schrecken eingestellt, aus einem Flugzeug springen und als erster in Feindesland eindringen zu müssen, im Dunkeln und nur mit leichten Waffen. Die härtesten Männer mit dem schwersten Auftrag. Dazu hatte er auch einmal gehört. Aber niemand hatte je seine Frau umgebracht - was wäre wohl 1946 passiert, wenn jemand das Catherine angetan hätte?
Nichts Gutes.
Kelly hat Doris Brown gerettet. Er hat sie in die Obhut von Menschen gegeben, denen er trauen konnte. Einen davon hat er gestern getroffen. Also weiß er, daß sie tot ist. Er hat Pamela Madden gerettet; sie wurde getötet, und er kam ins Krankenhaus, und ein paar Wochen nach seiner Entlassung wurden auf einmal Leute auf sehr ausgeklügelte Weise umgebracht. Ein paar Wochen... um sich in Form zu bringen. Dann hörten die Morde schlagartig auf, und Kelly war nirgends zu finden.
Was, wenn er nur verreist war?
Jetzt war er zurück.
Irgend etwas würde bald passieren.
Damit konnte er vor Gericht nicht bestehen. Das einzige handfeste Beweisstück, das sie hatten, war der Sohlenabdruck einer ganz gewöhnlichen Turnschuhmarke, die täglich zu Hunderten verkauft wurde. Basta. Ein Motiv war vorhanden. Doch wie viele Morde geschahen jedes Jahr, und wie wenige Menschen wurden dafür belangt? Sie hatten die Gelegenheit, ihn zu fassen. Aber konnte Kelly vor einer Jury darlegen, wie er seine Zeit verbracht hatte? Das konnte niemand. Wie, dachte der Kriminalbeamte, erkläre ich das einem Richter - nein, einige Richter würden es verstehen, aber eben keine Jury, nicht wenn ihnen ein frischgebackener Jurist zuvor einige Dinge erklärt hat.
Der Fall war gelöst, dachte Ryan. Er wußte Bescheid. Aber außer dem Wissen, daß bald etwas passieren würde, hatte er nichts in der Hand.
»Wer könnte das sein?« fragte Mike.
»So'n Sportfischer, wie's aussieht«, bemerkte Burt hinterm Steuerrad. Henry's Achte hielt schön Abstand zu der weißen Jacht. Bald würde die Sonne untergehen. Es war schon fast zu spät, um noch durch die gewundene Fahrrinne, die nachts ganz anders aussah, bis zu ihrem Labor zu navigieren. Burt warf einen Blick auf das weiße Boot. Der Mann mit der Angel winkte herüber, Burt grüßte zurück, während er nach Backbord drehte - für ihn war das bloß links. Ihnen stand eine lange Nacht bevor. Xantha wäre sicher keine große Hilfe. Na ja, vielleicht ein bißchen bei den Essenspausen. Eigentlich schade. Sie war ja kein schlechtes Mädchen, bloß doof und schon zu kaputt von den Drogen. Vielleicht sollten sie ihr noch einmal echt guten Stoff verpassen, bevor sie die Netze und die Zementblöcke benutzten, die ganz offen im Boot herumlagen; Xantha hatte nicht die geringste Ahnung, wofür sie waren.
Nun, das war nicht sein Problem.
Burt schüttelte den Kopf. Es gab wichtigere Dinge zu überlegen. Wie würden sich Mike und Phil als seine Untergebenen anstellen? Freilich mußte er sie behutsam anfassen.
Sie würden schon mitmachen. Bei dem Geld, das da drin war, sollten sie es eigentlich. Er entspannte sich in seinem Sitz, schlürfte sein Bier und hielt nach der roten Markierungsboje Ausschau.
»Sieh einer an«, flüsterte Kelly. Es war eigentlich gar nicht so schwer. Billy hatte ihm schon alles Wissenswerte mitgeteilt. Sie hatten dort ein Versteck. Sie kamen mit dem Boot von der Buchtseite her, gewöhnlich abends, und fuhren am folgenden Morgen wieder weg. Bei der roten Leuchtboje fuhren sie hinein. Höllisch schwer zu finden, im Dunkeln fast unmöglich, zumindest, wenn jemand sich in dem Gewässer nicht
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