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01 - Gnadenlos

01 - Gnadenlos

Titel: 01 - Gnadenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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auskannte. Kelly aber wußte Bescheid. Er holte die köderlose Leine ein und hob sein Femglas. Größe und Farbe stimmten. Henrys Achte hieß es. Alles klar. Er lehnte sich zurück, sah zu, wie es nach Süden zog, dann an der roten Boje nach Osten drehte. Kelly trug das auf seiner Karte ein. Mindestens zwölf Stunden. Die Zeit sollte eigentlich reichen. Ein so sicheres Versteck hatte den Nachteil, daß alles von der Geheimhaltung abhing. Wenn die einmal nicht mehr gegeben war, wurde der Ort zu einer verhängnisvollen Falle. Das kapierten die Leute nie. Gleicher Hin- und Rückweg - im Grunde nur eine andere Art, Selbstmord zu begehen. Er würde bis Sonnenuntergang warten. Unterdessen holte Kelly eine Sprühdose mit Farbe hervor und brachte an seinem Dingi grüne Streifen an. Das Innere besprühte er mit Schwarz.

33 Wermutstropfen
    Billy hatte ihm gesagt, es dauere gewöhnlich die ganze Nacht. So blieb Kelly Zeit zum Essen, Entspannen und Vorbereiten. Er steuerte die Springer nah an die unwegsamen Sumpfgebiete heran, in denen er heute jagen würde, und setzte seine Anker. Er machte sich zum Essen nur Sandwiches, aber das war schon besser als das, was er auf »seinem« Hügel vor knapp einer Woche gehabt hatte. Mein Gott, vor einer Woche war ich noch auf der Ogden und habe mich bereit gemacht, dachte er mit einem wehmütigen Kopfschütteln. Wie konnte das Leben nur so verrückt sein?
    Sein nun getarnter Dingi setzte sich rasch wieder in Bewegung. Er hatte am Heckwerk einen kleinen elektrischen Schleppnetzmotor installiert und hoffte, die Batterien würden für die Hin- und Rückfahrt reichen. So weit konnte es nicht sein. Der Karte nach war das Gebiet nicht groß, und ihr Schlupfwinkel mußte, um bestens versteckt zu sein, in der Mitte liegen. Mit geschwärztem Gesicht und ebenso bemalten Händen fuhr er in das Labyrinth der Schiffswracks, steuerte den Dingi mit der linken Hand, während er Augen und Ohren offenhielt für alles Ungewöhnliche. Der Himmel war sein Verbündeter. Es war Neumond, und das Sternenlicht reichte gerade aus, um ihm das Gras und Schilf zu zeigen, das in diesem Marschland wuchs, seitdem die Schiffsrümpfe hier liegengelassen worden waren, diesen Teil der Bucht verschlickt und ihn zu einem Gebiet gemacht hatten, das die Vögel im Herbst gern ansteuerten.
    Es war fast wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Das leise Surren des Schleppnetzmotors glich so sehr dem des Seeschlittens. Kelly bewegte sich mit etwa zwei Knoten voran, sparte Strom und ließ sich diesmal von den Sternen leiten. Das Marschgras wuchs etwa zwei Meter aus dem Wasser, und es war leicht zu begreifen, warum sie hier nachts nicht navigierten. Für einen, der sich nicht auskannte, war es wirklich ein Irrgarten. Aber Kelly wußte Bescheid. Er beobachtete die Sterne, wußte, welchen er zu folgen hatte, während ihre Positionen am Himmelsgewölbe rotierten. Es war wirklich beruhigend. Sie kamen aus der Stadt, waren keine Seeleute wie er, und wenn sie sich auch in der Auswahl des Orts zur Herstellung ihres illegalen Produkts sicher waren, so fühlten sie sich hier an diesem Platz voller unheimlicher Gebilde und Ungewisser Wasserwege nicht wohl. Kommt doch in mein Wohnzimmer, sagte Kelly bei sich. Er konzentrierte sich nun mehr aufs Lauschen als aufs Schauen. Eine sanfte Brise rauschte durch das hohe Gras, folgte dem breiteren Kanal hier durch die Schlickbänke; so verschlungen er auch war, es mußte der sein, den sie immer entlangfuhren. Die fünfzig Jahre alten Schiffsrümpfe um ihn herum sahen wie die Geister eines anderen Zeitalters aus, was sie eigentlich auch waren, abgestoßenes Gut einer einfacheren Zeit, das in seltsamen Winkeln angeordnet war, vergessenes Spielzeug eines großen Kindes. Dieses Kind war sein Land, und es hatte sich zu einem sorgenvollen Erwachsenen entwickelt.
    Eine Stimme. Kelly schaltete den Motor aus, ließ sich ein paar Sekunden treiben, drehte den Kopf, um sie zu orten. Er hatte mit dem Kanal richtig geraten. Kurz vor ihm bog die Fahrrinne nach rechts, und das Geräusch war ebenfalls von rechts gekommen. Nun schlich er vorsichtig und langsam um die Biegung. Da waren drei Wracks. Vielleicht waren sie miteinander vertäut gewesen, und die Skipper der Schleppboote hatten sie vielleicht aus einer persönlichen Laune heraus in einer gerade ausgerichteten Linie zurückgelassen. Das westlichste saß etwas gekippt, krängte um sieben oder acht Grad nach Backbord, da es auf Treibsand ruhte. Es hatte ein altertümliches Profil

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