01 - Gnadenlos
du tust, ist wichtig, aber sie braucht auch professionelle Hilfe. Okay?«
Kelly nickte. »Okay.«
»Gut«, sagte Sarah und blickte zu ihm hoch. »Ich mag dich. Du hörst gut zu.«
»Habe ich eine andere Wahl?« fragte Kelly mit einem schiefen Lächeln.
Sie lachte. »Nein, eigentlich nicht.«
»So ist sie immer«, teilte Sam Kelly mit. »Eine richtige Kommandeuse. Sie sollte Krankenschwester werden. Von Ärzten kann man normalerweise einen höflichen Umgangston erwarten, aber die Krankenschwestern, die kommandieren uns herum.« Sarah gab ihrem Mann einen spielerischen Tritt.
»Dann sollte ich lieber nie einer Krankenschwester über den Weg laufen«, meinte Kelly und verließ mit ihnen das Dock.
Pam schlief schließlich mehr als zehn Stunden, und das ganz ohne Barbiturate, beim Aufwachen hatte sie dann allerdings stechende Kopfschmerzen, gegen die Kelly ihr ein Aspirin gab.
»Besorg dir Tylenol«, wies Sarah ihn an. »Belastet den Magen nicht so sehr.« Die Pharmakologin untersuchte Pam noch einmal demonstrativ, während Sam ihrer beider Sachen zusammenpackte. Alles in allem war sie mit dem Ergebnis zufrieden. »Ich möchte, daß du fünf Pfund zunimmst, bis ich dich wiedersehe.«
»Aber... «
»Und John wird dich zu uns bringen, damit wir dich gründlich untersuchen lassen können - sagen wir in zwei Wochen?«
»Jawohl, Madam«, nickte Kelly ergeben wie schon zuvor.
»Aber... «
»Pam, sie haben sich gegen mich verschworen. Ich muß auch hin«, berichtete er in bemerkenswert zahmem Ton.
»Ihr müßt so früh weg?«
Sarah nickte. »Wir hätten eigentlich schon gestern abreisen sollen, aber was soll's.« Sie sah Kelly an. »Wenn du nicht wie vereinbart auftauchst, dann rufe ich dich an und werde dir was flüstern.«
»Sarah. Herrgott, bist du ein autoritäres Weib!«
»Du solltest erst mal hören, was Sam dazu zu sagen hat.«
Kelly ging mit ihr zum Dock, wo Sams Boot bereits vor sich hin tuckerte. Sarah und Pam umarmten sich. Kelly versuchte, ihr nur die Hand zu geben, mußte dann aber doch einen Kuß über sich ergehen lassen, Sam kam heruntergesprungen, um ihnen die Hände zu schütteln.
»Neue Karten!« schärfte Kelly dem Chirurgen ein.
»Aye aye, Käptn.«
»Ich mach die Leinen los.«
Rosen gab sich alle Mühe, Kelly zu zeigen, was er gelernt hatte. Er stieß ab, indem er hauptsächlich mit dem Steuerborder manövrierte und die Hatteras um die eigene Achse drehte. Der Mann vergaß nichts. Einen Augenblick später gab Sam mit beiden Motoren Gas und fuhr geradeaus davon, mit Kurs auf garantiert tiefes Gewässer. Pam stand einfach so da und hielt Kellys Hand, bis das Boot zu einem weißen Fleck am Horizont geworden war.
»Ich hab vergessen, mich bei ihr zu bedanken«, meinte sie schließlich.
»Nein, das hast du nicht. Du hast es nur nicht gesagt, das ist alles. Na, wie geht's dir heute?«
»Meine Kopfschmerzen sind weg.« Sie sah zu ihm auf. Ihr Haar mußte mal wieder gewaschen werden, aber ihre Augen waren klar, und ihr Gang war beschwingt. Kelly verspürte das Bedürfnis, sie zu küssen, was er auch tat. »Und was machen wir nun?«
»Wir müssen miteinander reden«, sagte Pam leise. »Es ist Zeit.«
»Warte hier.« Kelly ging in die Werkstatt und kam mit zwei Liegestühlen zurück. Er bot ihr einen Platz an. »Jetzt erzähl mir, wie schlimm du bist.«
Pamela Starr Madden stand drei Wochen vor ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, erfuhr Kelly, womit er endlich auch ihren Nachnamen genannt bekam. Sie stammte aus einer einfachen Arbeiterfamilie aus der sogenannten Panhandle im Norden von Texas und war unter der strengen Hand eines Vaters aufgewachsen, der zu der Sorte von Männern gehörte, die selbst einen Baptistenpfarrer zur Verzweiflung bringen können. Donald Madden war ein Mann, der zwar die Grundregeln der Religion verstand, nicht aber deren Gehalt; der streng war, weil er nicht wußte, wie er seine Liebe zeigen sollte; der aus Lebensüberdruß trank - und deswegen auch auf sich selbst wütend war -, aber damit nie zurechtkam. Wenn seine Kinder nicht gehorchten, schlug er sie, gewöhnlich mit einem Gürtel oder einem Stecken, bis ihn das schlechte Gewissen packte, was aber selten eher eintrat als die Erschöpfung. Pam war nie ein glückliches Kind gewesen, aber erst der Tag nach ihrem sechzehnten Geburtstag brachte das Faß zum Überlaufen. Sie hatte bis spät in der Kirche zu tun gehabt und war schließlich noch mit Freunden ausgegangen, in dem sicheren Gefühl, daß sie nun endlich
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