01 - Gnadenlos
das Recht dazu hatte. Am Ende hatte es nicht mal einen Kuß gegeben von dem Jungen, dessen Elternhaus beinahe ebenso streng war wie ihr eigenes. Aber das focht Donald Madden nicht an. Als Pam an diesem Freitag abend zwanzig nach zehn heimkam, trat sie in ein hell erleuchtetes Haus, wo sie sich einem wutentbrannten Vater und einer völlig eingeschüchterten Mutter gegenübersah.
»Die Sachen, die er gesagt hat... « Pam sah beim Reden aufs Gras hinunter. »Die habe ich alle nicht gemacht. Ich hab nicht mal daran gedacht, und Albert war so ein unschuldiger Junge... genau wie ich - damals.«
Kelly drückte ihr die Hand. »Du brauchst mir davon gar nichts zu erzählen, Pam.« Aber genau das mußte sie, und Kelly wußte das auch, deshalb hörte er einfach weiter zu.
Nachdem sie die schlimmste Tracht Prügel ihrer ganzen sechzehn Jahre verpaßt bekommen hatte, war Pamela Madden aus dem Fenster ihres Schlafzimmers im ersten Stock geschlüpft und die zehn Kilometer ins Zentrum der öden, staubigen Stadt gelaufen. Vor Tagesanbruch hatte sie einen Greyhound-Bus nach Houston bestiegen, nur weil es der erste Bus gewesen war, und es war ihr nicht eingefallen, irgendwo unterwegs auszusteigen. Soweit sie feststellen konnte, hatten ihre Eltern sie nicht einmal vermißt gemeldet. Eine Reihe mieser Jobs und eine noch schlimmere Unterkunft in Houston hatten ihr Elend nur noch vergrößert, und bald darauf hatte sie sich entschlossen, woandershin zu gehen. Mit dem wenigen Geld, das sie gespart hatte, stieg sie wieder in einen Bus - diesmal von Continental Trailways und fuhr bis New Orleans. Verschüchtert, mager und jung, wie sie war, hatte Pam nicht die geringste Ahnung, daß es Männer gab, die sich auf minderjährige Ausreißerinnen als leichte Beute stürzten. Fast augenblicklich war sie von einem gutgekleideten und in schmeichlerischen Worten auf sie einredenden Fünfundzwanzigjährigen namens Pierre Lamarck aufgespürt worden und hatte sein Angebot, ihr Unterkunft und Hilfe zu bieten, schließlich angenommen, nachdem er ihr mitfühlend ein Abendessen spendiert hatte. Drei Tage später war er ihr erster Liebhaber geworden. Eine Woche darauf hatte ein Schlag ins Gesicht das sechzehnjährige Mädchen zu seinem zweiten sexuellen Abenteuer gezwungen, diesmal mit einem Handelsvertreter aus Springfield, Illinois, den Pam an seine eigene Tochter erinnerte - und zwar so sehr, daß er sie für den ganzen Abend engagiert und Lamarck fünfzig Dollar für dieses Erlebnis gezahlt hatte. Am Tag darauf hatte Pam sich den Inhalt einer ganzen Dose mit Pillen von ihrem Zuhälter in den Rachen geschüttet damit aber nichts erreicht, als daß sie sich übergeben mußte und obendrein noch eine gehörige Tracht Prügel bezog, weil sie es gewagt hatte, sich zu widersetzen.
Kelly hörte der Erzählung ruhig und scheinbar ungerührt zu, mit festem Blick und regelmäßigen Atemzügen. In seinem Innern sah es allerdings ganz anders aus. Die Mädchen, die er in Vietnam gehabt hatte, diese kindlichen Dinger, und die wenigen, die er seit Tishs Tod genommen hatte. Es war ihm nie eingefallen, daß diese jungen Frauen ihr Leben und ihre Arbeit vielleicht gar nicht genossen. Keinen Gedanken hatte er daran verschwendet, die ganze Zeit hatte er ihre vorgetäuschten Reaktionen für echte menschliche Gefühle gehalten - war er denn etwa kein anständiger, ehrenhafter Mann? Aber er hatte für die Dienste junger Frauen bezahlt, deren Geschichten insgesamt gesehen wohl kein bißchen anders gewesen waren als die von Pam, und die Scham darüber brannte in seinem Innern wie eine Fackel.
Mit neunzehn war sie mittlerweile Lamarck und drei anderen Loddeln entwischt, und jedesmal landete sie doch nur wieder bei einem Zuhälter. Einer in Atlanta hatte sich einen besonderen Spaß daraus gemacht, seine Pferdchen vor seinen Kumpels auszupeitschen, wozu er gern ein dünnes Kabel benutzte. Ein anderer in Chicago hatte Pam auf Heroin gesetzt, um dieses Mädchen besser kontrollieren zu können, das ihm ein bißchen zu unabhängig vorkam, aber sie hatte ihn schon am nächsten Tag verlassen und seine Einschätzung damit nur bestätigt. Sie hatte mit angesehen, wie ein anderes Mädchen vor ihren Augen an einer Überdosis unverschnittenen Stoffs zugrunde ging, und das hatte ihr mehr Angst eingejagt als alle angedrohten Prügel. Da sie nicht wieder nach Hause zurückkonnte - einmal hatte sie angerufen, aber ihre Mutter hatte den Hörer aufgeknallt noch bevor sie um Hilfe bitten konnte -
Weitere Kostenlose Bücher