01 - Gott schütze dieses Haus
legte ihm die Hand auf die Schulter und zwang sich, sein ungewaschenes Haar zu berühren.
»Daddy, versteh doch. Wir müssen an Mama denken. Ohne dich würde sie nicht am Leben bleiben. Darum mußt du auf deine Gesundheit achten. Verstehst du nicht? Mama - sie liebt dich so sehr.«
Zeigte sich da ein Schimmer? Nahmen sie einander noch wahr in dieser privaten Hölle, die sie so reichlich verdienten, oder war der Nebel bereits zu dick?
Er schluchzte einmal erstickt auf. Mit schmutziger Hand griff er in seine Tasche und zog die kleine runde Dose heraus. »Jim meint's nicht schlecht, Barbie«, sagte er, während er seiner Tochter die Dose gab. Sein Blick ging von ihrem Gesicht zu dem Hausaltar, zu den Plastikblumen in den Plastikvasen. Sie begriff augenblicklich, stand auf, leerte die Blumen heraus und nahm die anderen drei Dosen Schnupftabak, die dort versteckt waren, an sich.
»Ich spreche morgen mit Mister Como«, sagte sie kalt und ging aus dem Zimmer.
Natürlich Eaton Terrace, nicht Eaton Place. Das wäre zu - zu demonstrativ gewesen, und Lynley zog eindeutig das vornehme Understatement vor. Außerdem war dies nur das Stadthaus. Wirklich zu Hause waren die Lynleys auf ihrem Gut Howenstow in Cornwall.
Barbara betrachtete das weiße Haus. Wie herrlich sauber alles in Belgravia war. Wie elegant und schick. Es war die einzige Gegend der Stadt, wo die Leute sich dazu herabließen, in umgebauten Stallungen zu wohnen, und dann vor ihren Freunden noch damit prahlten.
Wir wohnen jetzt in Belgravia, sagten wir das schon? Oh, Sie müssen unbedingt einmal zum Tee kommen. Nur dreihunderttausend Pfund, aber wir halten es für eine hervorragende Kapitalanlage. Fünf Zimmer. Eine reizende kleine Straße mit altem Kopfsteinpflaster. Besuchen Sie uns. Sagen wir halb fünf? Sie können das Häuschen nicht verfehlen. Ich habe vor allen Fenstern Begonien.
Barbara stieg die makellosen Marmorstufen hinauf und vermerkte mit einem verächtlichen Kopfschütteln das kleine Wappen der Ashertons unter den Messingleuchten. Nein, für die stolze Familie der Ashertons kam selbstverständlich ein umgebauter Stall nicht in Frage.
Sie hob den Kopf, um zu klingeln, hielt aber plötzlich inne, drehte sich um und sah auf die Straße hinaus. Seit dem vergangenen Tag hatte sie keine Zeit gefunden, über ihre neue Position nachzudenken. Ihre Vorladung zu Webberly, die Fahrt nach Chelsea, wo sie Lynley abgeholt hatte, das Gespräch mit dem sonderbaren kleinen Priester: all das war so rasch aufeinandergefolgt, daß ihr nicht eine freie Minute geblieben war, um sich in ihre neue Situation hineinzuversetzen und eine Strategie zu entwerfen, die ihr helfen würde, diese neuerliche Lehrzeit erfolgreich zu überstehen.
Lynley war über die vorgesehene Zusammenarbeit mit ihr zwar nicht so entsetzt gewesen, wie sie erwartet hatte - eindeutig nicht so entsetzt und empört wie sie selbst -, aber er war ja auch mit anderen Dingen beschäftigt gewesen: der Heirat seines Freundes und der abendlichen Verabredung mit Lady Helen Clyde. Jetzt, wo er Zeit zum Nachdenken gehabt hatte, würde sie gewiß seinen ganzen Ärger darüber zu spüren bekommen, daß man ihm eine unmögliche Person wie sie aufgehalst hatte.
Was also sollte sie tun? Hier war sie endlich, die Gelegenheit, auf die sie gewartet, die sie erhofft und ersehnt hatte: die Chance, sich als Mitarbeiterin bei der Kripo zu bewähren. Hier war die Chance, die Streitereien, die unbedachten Äußerungen, die impulsiven Entscheidungen und törichten Fehler der vergangenen zehn Jahre auszumerzen.
»Sie können eine Menge lernen von Lynley«, hatte Webberly gesagt. Sie runzelte nachdenklich die Stirn. Was konnte sie denn schon von Lynley lernen? Welchen Wein man zu welchem Fleisch bestellt, ein paar Tanzschritte, wie man einen Raum voller Menschen mit charmanter Konversation blendete? Was konnte sie von Lynley lernen?
Nichts natürlich. Aber sie wußte nur zu gut, daß er für sie die einzige Chance war, wieder zur Kriminalpolizei zu kommen. Deshalb mußte sie sich gut überlegen, welcher Weg der beste zu einem gütlichen Auskommen mit dem Mann war.
Absolute Unterwerfung, dachte sie. Sie würde keine eigenen Vorschläge machen, keine eigene Meinung äußern, jedem seiner Gedanken und jeder seiner Äußerungen zustimmen.
Es geht nur darum, diese Probe zu bestehen, dachte sie, drehte sich um und läutete.
Sie hatte ein adrett gekleidetes Dienstmädchen erwartet und war verblüfft, als Lynley selbst
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