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01 - Gott schütze dieses Haus

01 - Gott schütze dieses Haus

Titel: 01 - Gott schütze dieses Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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daneben die fünfzehn Kunstlederalben, die jede Etappe des Wahnsinns ihrer Mutter dokumentierten. Und über allem lächelte Tony. Unentwegt.
    In einer Ecke des Zimmers war sein Gedenkschrein. Das letzte Foto, das ihn vor seiner Krankheit zeigte - ein kleiner Junge, unscharf und verschwommen, wie er einen Fußball in ein provisorisches Tor stieß, das in einem üppig blühenden Garten aufgestellt war -, in riesiger Vergrößerung. Zu beiden Seiten davon hingen in dunklen Rahmen -Plastik auf Eiche getrimmt - alle seine Schulzeugnisse und - Gott erbarme dich - die Urkunde seines Todes. Darunter prangte in verstaubter Huldigung ein Arrangement von Plastikblumen.
    Der Fernseher dröhnte wie immer aus der gegenüberliegenden Ecke, wo man ihn plaziert hatte, »damit Tony auch zuschauen kann«. Regelmäßig durfte er seine Lieblingsprogramme sehen, die immer noch liefen, als wäre die Zeit stehengeblieben, als wäre nichts geschehen, als hätte sich nichts geändert. Während Fenster und Türen geschlossen und abgesperrt waren, verriegelt und mit Ketten gesichert, um die Wahrheit jenes Augustnachmittags auf der Uxbridge Road auszusperren.
    Barbara ging durchs Zimmer und schaltete den Fernseher aus.
    »He, Mädchen, Jim will das sehen«, protestierte ihr Vater.
    Sie sah ihn an. Wie ekelerregend er doch war! Wann hatte er das letztemal ein Bad genommen? Sie konnte ihn bis hierher riechen - den Schweiß, die öligen Ausscheidungen seines Körpers, die sich in seinem Haar sammelten, an seinem Hals, in den Falten hinter seinen Ohren; die ungewaschene Kleidung.
    »Mister Como hat mir erzählt, daß du bei ihm warst«, sagte sie und setzte sich auf die Couch.
    Der unstete Blick huschte umher. Vom leblosen Fernseher zu den Plastikblumen und den kitschigen Kletterrosen an der Wand.
    »Ja, Jim war bei Como, stimmt.« Er nickte.
    Er sah seine Tochter grinsend an. Seine Zähne waren braun, und Barbara sah, wie sich der Saft in seinem Mund sammelte. Die Kaffeedose stand neben seinem Sessel, ungeschickt versteckt unter einer Rennzeitschrift. Sie wußte, er wartete darauf, daß sie einen Moment wegschauen würde, damit er es erledigen konnte, ohne erwischt zu werden. Aber sie war nicht bereit mitzuspielen.
    »Spuck's aus, Dad«, sagte sie geduldig. »Es hat doch keinen Sinn, daß du's runterschluckst und dir dann übel wird.«
    Sie sah, wie die Spannung in seinem Körper nachließ, als er erleichtert nach der Dose griff und den braunen Tabakschleim hineinspie.
    Er wischte sich den Mund mit einem fleckigen Taschentuch, hustete hinein und rückte die Schläuche zurecht, die den Sauerstoff in seine Nase leiteten. Mit jammervoller Miene suchte er bei seiner Tochter Zärtlichkeit, fand jedoch keine. Da wandte er sich ab, und wieder begannen die unsteten Wanderungen seines Blicks durch das Zimmer.
    Barbara betrachtete ihn nachdenklich. Warum wollte er nicht sterben? Die letzten zehn Jahre waren ein einziger langsamer Verfall gewesen; warum nicht endlich ein großer Sprung ins schwarze Vergessen? Es wäre eine Erleichterung für ihn. Vorbei das mühsame Um-Atem-Ringen. Kein Emphysem mehr. Keine Notwendigkeit mehr zu schnupfen, um die Sucht zu lindern. Nur Leere und nichts.
    »Du bekommst noch Krebs, Dad«, sagte sie. »Das weißt du doch.«
    »He, Jim geht's gut, Barb. Mach dir keine Sorgen, Mädchen.«
    »Dann denk wenigstens an Mama. Was würde aus ihr werden, wenn du wieder ins Krankenhaus müßtest?« Wie Tony. So hing es unausgesprochen in der Luft. »Soll ich mit Mister Como reden? Ich würde es viel lieber nicht tun, aber wenn das mit dem Schnupftabak so weitergeht, muß ich es tun, das weißt du.«
    »Como hat Jim ja überhaupt erst drauf gebracht«, protestierte ihr Vater mit weinerlicher Stimme. »Nachdem du ihm gesagt hattest, daß er Jim keine Zigaretten mehr verkaufen soll.«
    »Du weißt, daß ich das nur zu deinem Besten getan habe. Mit einem Sauerstoffzylinder darf man nicht rauchen. Das haben die Ärzte dir doch gesagt.« »Aber Como sagte, schnupfen könnte Jim ruhig.«
    »Mister Como ist kein Arzt. Gib mir jetzt den Schnupftabak.« Sie hielt ihm fordernd die Hand hin.
    »Aber Jim will doch nur -«
    »Keine Widerrede, Dad. Gib mir das Zeug.«
    Er schluckte krampfhaft. Seine Augen gingen nervös hin und her.
    »Aber irgendwas braucht Jim doch, Barbie«, erwiderte er jämmerlich.
    Sie fuhr zusammen bei dem Namen. Nur Tony hatte sie so genannt. Von den Lippen ihres Vaters kommend war er eine Verwünschung. Dennoch trat sie zu ihm,

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