01 - Gott schütze dieses Haus
erheiterten Blick zu, der klar sagte, mal sehen, was jetzt kommt. Dann rief er: »Herein.«
Es war Danny, einen Stapel Wolldecken in den Armen.
»Entschuldigen Sie. Die hatte ich vergessen. Es ist schon eine Daunendecke da, aber meine Tante meint, die ganze Welt müßte so frieren wie sie selber.«
Mit unbefangener Selbstverständlichkeit trat sie ins Zimmer.
»Hat Eddie Ihre Sachen raufgebracht?« fragte sie, während sie den Schrank öffnete und die Decken hineinwarf. »Er ist manchmal ein bißchen langsam, wissen Sie. Nehmen Sie's ihm nicht übel.«
Sie musterte sich in dem welligen Spiegel an der Innentür des Schranks, zupfte hier und dort an ihrem Haar und merkte plötzlich, daß sie sie beobachteten.
»So, und jetzt hüten Sie sich, wenn das Baby schreit«, sagte sie mit feierlichem Ernst, als verkünde sie etwas von größter Bedeutsamkeit.
»Wenn das Baby schreit? Haben die Amerikaner ein Kind?« fragte Deborah.
Danny öffnete die dunklen Augen weit und sah die beiden an.
»Sie wissen es nicht? Hat Ihnen niemand was davon gesagt?«
Das Verhalten des Mädchens verriet Deborah, daß sie nicht lange auf die Aufklärung würden warten müssen. Danny strich sich einleitend mit beiden Händen über ihr Kleid, sah sich im Zimmer um, als fürchtete sie unerbetene Lauscher, und ging zum Fenster. Trotz der Kälte öffnete sie den Riegel und machte auf.
»Hat Ihnen keiner etwas davon gesagt?« fragte sie und wies mit dramatischer Geste in die Nacht hinaus.
Deborah und Simon blieb keine andere Wahl, als zum Fenster zu kommen. In der Ferne schimmerten die abgebröckelten Mauern einer Ruine durch den Nebel.
»Die Abtei von Keldale«, erklärte Danny in vielsagendem Ton, schloß das Fenster und ließ sich zu vertraulichem Gespräch am Kamin nieder. »Dort schreit das Baby. Nicht hier.«
Simon zog die Vorhänge zu und kehrte mit Deborah ebenfalls zum Feuer zurück. Sie machte es sich auf dem Boden neben seinem Sessel bequem und ließ die wohltuende Wärme des Feuers über ihre Haut strahlen.
»Dann ist das Baby wohl ein Geist«, sagte sie zu Danny.
»Ja. Und ich hab' es selber schon gehört. Sie werden es bestimmt auch hören. Warten Sie nur.«
»Jeder Geist hat seine Legende«, bemerkte Simon.
»Dieser auch.« Danny kuschelte sich tiefer in ihren Sessel. »Keldale war im Krieg auf Seiten des Königs, wissen Sie«, erklärte sie, als wäre das siebzehnte Jahrhundert kaum eine Woche entfernt. »Die Leute von Keldale waren dem König bis auf den letzten Mann treu. Das ist das Dorf unten, Sie wissen schon. Gar nicht weit von hier. Sie haben es sicher gesehen.«
Simon lachte leise. »Wir hätten es eigentlich sehen müssen, aber wir sind aus einer anderen Richtung gekommen.«
»Über die Panoramastraße«, fügte Deborah hinzu.
Danny ging auf die Ablenkung nicht ein.
»Also«, fuhr sie fort, »es war kurz vor Kriegsende. Und Cromwell, dieser teuflische Schurke -« Danny hatte ihre Geschichtsstunden offenbar auf dem Schoß ihrer Tante bekommen - »hörte, daß die Adligen im Norden einen Aufstand planten. Da fegte er noch ein letztesmal durch die Täler hier, überfiel Herrenhäuser und Schlösser und vernichtete königstreue Dörfer. Keldale liegt gut versteckt.«
»Ja, das haben wir gemerkt«, warf Simon ein.
Danny nickte ernsthaft. »Aber schon Tage im voraus hörte man im Dorf, daß die Horden Cromwells sich näherten. Das Dorf selbst interessierte Cromwell nicht, aber seine Bewohner, alle, die König Karl die Treue hielten ...«
»Er wollte sie natürlich töten«, sagte Deborah schnell.
»Ja, bis auf den letzten Mann«, erklärte Danny. »Als bekannt wurde, daß Cromwell es auf Keldale abgesehen hatte, dachten die Dorfbewohner sich einen Plan aus. Sie wollten mit allem, was sie besaßen, in die Abtei ziehen. Wenn Cromwell dann kam, würde er zwar Keldale finden, aber keine Menschenseele darin.«
»Ein ziemlich ehrgeiziger Plan«, meinte Simon.
»Aber er klappte«, antwortete Danny stolz. Die dunklen Augen blitzten, doch sie senkte die Stimme. »Wenn nur das Baby nicht gewesen wäre.« Sie beugte sich in ihrem Sessel vor. Offensichtlich hatten sie den Höhepunkt der Geschichte erreicht. »Cromwell und seine Leute kamen. Es war genauso, wie die Dorfbewohner gehofft hatten. Das Dorf war menschenleer. Alles war still und verlassen, von dichtem Nebel eingehüllt. Im ganzen Dorf nicht ein lebendes Wesen, weder Mensch noch Tier. Und dann -« mit raschem Blick vergewisserte sich Danny, daß sie die
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