01 - Gott schütze dieses Haus
bewohnt worden. Warum sollen wir da jeden Winkel absuchen wie Sherlock Holmes? So als würde der Mörder jeden Moment aus einer Bodenritze springen?«
Er erwiderte nicht gleich etwas, und der schrille Klang ihrer Stimme schien im Zimmer hängenzubleiben, nachdem sie längst fertiggesprochen hatte.
»Was ist?« fragte er wieder. »Kann ich helfen?« Er sah sie an, mit einem Blick, der Betroffenheit und gütige Teilnahme zeigte. Ach, es wäre so einfach -
»Es ist gar nichts!« rief sie heftig. »Ich hab' nur keine Lust, Ihnen dauernd wie ein Hündchen hinterherzulaufen. Ich weiß nicht, was Sie von mir erwarten. Ich komme mir vor wie der letzte Idiot. Ich bin schließlich nicht blöd, verdammt noch mal! Geben Sie mir was zu tun!«
Er stand langsam auf, den Blick immer noch auf sie gerichtet.
»Warum gehen Sie nicht ins Zimmer gegenüber und sehen sich dort um«, schlug er vor.
Sie öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber anders und lief hinaus. Im grünlichen Licht der Diele blieb sie einen Moment stehen. Sie konnte ihr heftiges Atmen hören, laut und stoßweiße, und wußte, daß auch er das bemerken mußte.
Dieser verdammte Schrein! Der Hof selbst war schlimm genug in seiner gespenstischen Leblosigkeit, aber der Schrein hatte sie völlig aus dem Gleichgewicht geworfen. Man hatte ihn in der schönsten Ecke des Zimmer errichtet. Mit Blick auf den Garten, dachte Barbara zitternd. Tony hat den Fernseher, und sie hat den Garten!
Wie hatte Lynley es genannt? Eine Religion. Ja, mein Gott. Ein Tempel für Tony. Sie zwang sich, ruhiger zu atmen, ging über die Diele und betrat das nächste Zimmer.
Du hast's in den Sand gesetzt, Barb, sagte sie sich. Was ist aus Zustimmung, Gehorsam und Unterwerfung geworden? Warte nur, wenn du nächste Woche wieder in Uniform steckst!
Zornig sah sie sich um, angeekelt von sich selbst. Na und, wen kümmerte das schon? Der Reinfall war programmiert gewesen. Hatte sie denn allen Ernstes erwartet, dieses Unternehmen hier könnte etwas werden?
Sie eilte durch das Zimmer zum Fenster und riß es ungeduldig auf. Was hatte er gesagt? Was ist? Kann ich helfen? Das Wahnsinnige war, daß sie einen Moment tatsächlich versucht gewesen war, mit ihm zu reden, ihm alles zu sagen, was es zu sagen gab. Aber das war natürlich undenkbar. Keiner konnte helfen, am wenigsten Lynley.
Sie öffnete den Fensterflügel weit und hielt ihr erhitztes Gesicht in die frische, kühle Luft. Dann drehte sie sich um, entschlossen, ihre Arbeit zu tun.
Dies war Robertas Zimmer, so sauber und ordentlich wie die anderen Räume, aber irgendwie lebendiger. Auf dem breiten Himmelbett lag eine Patchwork-Decke mit einem freundlichen Bilderbuchmuster - Sonne, Wolken und ein Regenbogen auf dem Hintergrund eines saphirblauen Himmels. Im Schrank hingen Kleider. Darunter aufgereiht standen die Schuhe - Arbeitsstiefel, Laufschuhe, Hausschuhe. Der Frisiertisch hatte einen dreiteiligen Spiegel, und auf der Kommode lag, mit dem Gesicht nach unten, eine gerahmte Fotografie, als sei sie gerade umgefallen. Barbara betrachtete das Bild neugierig. Mutter, Vater und die neugeborene Roberta in den Armen des Vaters. Das Foto schien in den Rahmen hineingezwängt, so als paßte es nicht recht. Sie drehte den Rahmen um und nahm den Rücken ab.
Ihre Vermutung war richtig gewesen. Das Foto war tatsächlich zu groß gewesen für den Rahmen, und Roberta oder sonst jemand hatte einen Teil nach rückwärts geklappt. Entfaltet zeigte sich ein ganz anderes Bild. Links vom Vater nämlich, die Hände auf dem Rücken, stand ein kleines Mädchen, der Mutter des Säuglings wie aus dem Gesicht geschnitten, unzweifelhaft eine Tochter von Tessa Teys.
Barbara wollte gerade Lynley rufen, da erschien er mit einem Fotoalbum in der Hand an der Tür. Er blieb stehen, als wolle er überlegen, wie er ihre Beziehung wieder in Ordnung bringen könne.
»Ich hab' hier etwas ganz Merkwürdiges gefunden, Sergeant«, sagte er.
»Ich auch«, antwortete sie, ebenfalls bemüht, ihren Ausbruch von vorher vergessen zu machen.
Sie tauschten ihre Funde aus.
»Ihres erklärt meines«, meinte Lynley.
Das Album bot eine Familiengeschichte in Bildern, Erinnerungen an Hochzeit und Geburten, Weihnachten, Ostern, Geburtstage. Aber fast aus allen Fotos war etwas herausgeschnitten, nirgends war das kleine Mädchen zu sehen, das Barbaras Foto zeigte. Ausgemerzt. Der Eindruck war gespenstisch.
»Eine Schwester von Tessa, würde ich sagen«, bemerkte
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