01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
der Commissioner beschloß.
»Keine schlechte Idee«, pflichtete er ihr bei.
»Ich denke, Sie können das Telephon in Lord Wentwaters Studierzimmer benutzen. Als ich ihn zuletzt sah, hatte es den Anschein, als wäre er noch eine ganze Weile oben beschäftigt.«
Sie führte in ins Arbeitszimmer und verschwand dann wieder taktvoll. Alec hatte weniger Schwierigkeiten, sich zum Commissioner durchstellen zu lassen, als er erwartet hätte. Ohne Zweifel lag es daran, daß Sir Hugh Menton in der Angelegenheit involviert war. Er erklärte die Lage, wobei er äußerst vorsichtig formulierte und es vermied, Namen zu nennen.
Er war schon fast am Ende, als Daisy wieder erschien, ein Tablett mit einer Kanne Tee und einem Teller Keksen in Händen.
Er lächelte sie an und fuhr fort, wobei er jede Erwähnung der Tatsache vermied, daß Geoffreys Abreise auf ihr Konto ging.
»Also Sie sehen, Sir, wir können die Orinoco zurückholen, oder wir können warten, bis er Teneriffa oder sogar Rio erreicht, um ihn dann von dort ausliefern zu lassen.«
»Das wird nicht notwendig sein, Chief Inspector«, dröhnte die Stimme des Commissioners aus dem Hörer. »Schicken Sie doch einfach die Küstenwache los und lassen Sie den Mann vom Schiff herunterholen.«
»Jawohl, Sir. Die Möglichkeit hatte ich gar nicht bedacht.«
»Das Ganze klingt mir allerdings wie eine riesige Verschwendung von Steuergeldern. Der Junge hat eine bestimmte Dame beschützt, die vergewaltigt werden sollte, war das nicht so?«
»Jawohl, Sir. Die Geschichte wirkt auf mich glaubwürdig, nach dem, was ich über den Charakter des Täters und des Opfers erfahren habe.«
»Hmm. Die ganze Sache war ein unglückseliger Unfall. Besteht Gefahr, daß die Familie des Verstorbenen uns Arger machen könnte?«
»Das bezweifle ich, Sir. Der Chef des Hauses wollte anscheinend nur wissen, ob sein Bruder schon unter der Erde lag.«
Das brüllende Gelächter des Commissioner donnerte Alec in den Ohren. »Was ist mit dem Coroner? Ist das ein vernünftiger Mann?«
»Ich würde sagen, er kennt seine Pflichten, Sir - und er weiß auch genau, wo sein Vorteil liegt. Er ist übrigens auch der Rechtskonsulent von meinem Gastgeber. Wenn Sie und seine Lordschaft ihm beide raten würden, daß er den Geschworenen einen Tod durch Unfall nahelegt ...«
»Gesagt, getan, Chief Inspector. Ein Unfalltod also. Ich werde später noch ein paar Sätze mit dem Grafen sprechen, aber im Moment zieht mir meine Sekretärin Grimassen. Gut haben Sie das gemacht. Auf Wiederhören.«
Auch Alec zog eine Grimasse. Immerhin war Daisy aus der Schußlinie. Aber ... Gut gemacht? Nun, er war schließlich wegen seiner Diskretion ausgesucht worden. Er legte auf und nahm einen riesigen Schluck von dem Tee, den Daisy ihm schon eingeschenkt hatte. »Alles erledigt«, sagte er, während sie seine Tasse erneut füllte. »Reichtum und Stand gewinnen mal wieder. Das Ganze hinterläßt bei mir einen üblen Nachgeschmack.«
Sie blickte ihn unsicher an. »Als ich die Sache ausheckte, dachte ich eigentlich am meisten an Annabel, aber ich hatte auch gehofft, daß ich für Sie ein Problem löse. Ich muß sagen, daß ich mit Ihrer Freude gerechnet hatte, nicht den Sohn eines Grafen festnehmen zu müssen.«
»Freude!«
»Naja, wenigstens Erleichterung!«
Zu seinem Leidwesen hatte sie recht. Er war erleichtert, daß er sich nicht mit Lord Wentwater oder Sir Hugh anlegen mußte. Gleichzeitig verabscheute er sich selbst als einen ängstlichen Speichellecker, und es ärgerte ihn, daß sie das erraten hatte. »Sind Sie sicher, daß Sie nicht nur versucht haben, Ihre eigene Mischpoke zu beschützen, die Leute Ihres Standes, Miss Dalrymple?«
»Nein«, sagte sie verletzt. »Warum sollte ich eine Gesellschaftsschicht unterstützen, der Leute wie James und Lord Stephen angehören? Ich wollte Annabel beschützen, weil sie mir eine liebe Freundin geworden ist, und weil sie nichts wirklich Schlimmes getan hat. Aber ich hätte bestimmt nicht eingegriffen, um einen Prozeß zu verhindern, wenn ich Geoffreys Tat nicht für gerechtfertigt gehalten hätte.«
»Es ist durchaus möglich, daß er ohnehin nur mit einer Verwarnung davongekommen wäre«, gab Alec zögerlich zu. Ihre Augen leuchteten auf, und sie strahlte ihn an. Viel zu selbstzufrieden war sie, viel zu glücklich mit dem Erfolg ihrer List, mit der sie das Gesetz hinters Licht geführt hatte. So leicht konnte er sie nicht davonkommen lassen, sonst wußte der Herrgott allein, was sie
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