01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
als nächstes anstellen würde. »Trotzdem«, fuhr er in seinem strengsten offiziellen Ton fort, »oblag es der Polizei, dem Coroner, dem Richter und den Geschworenen, diese Entscheidung zu treffen, und nicht Ihnen. Sie hätten sich einen riesigen Ärger damit einhandeln können.«
Ihr Gesicht wurde ernst. »Ich weiß. Haben Sie vielen Dank dafür, daß Sie nicht dem Commissioner erzählt haben, wessen Idee das war.«
»Je weniger davon wissen, desto besser. Und jetzt müssen Sie mich entschuldigen, denn ich muß mit Lord Wentwater sprechen, eine Pressemitteilung vorbereiten, und meine Berichte schreiben.« Drei Berichte, dachte er und stöhnte insgeheim auf, einen über die Flatford-Angelegenheit und zwei über die verworrene Astwick-Geschichte: einen offiziellen für die Unterlagen und die Augen des Chief Constable von Hampshire; und einen für seinen eigenen Vorgesetzten, den Assistant Commissioner, der alle Details erfahren mußte, auch Daisys Rolle darin.
Voller Bedauern beobachtete er, wie sie mutlos aus dem Arbeitszimmer hinausschlich. Damit hatte er alle Chancen darauf verbaselt, sie jemals wiederzusehen. Nicht, daß eine Freundschaft zwischen der Hochwohlgeborenen Daisy Dalrymple und einem bürgerlichen Detective der Polizei auch nur die geringste Chance einer Zukunft hätte.
Daisy ging zum Salon. Alec hatte alles Recht der Welt, wütend zu sein, dachte sie traurig. Obwohl sich ja alles zum Besten gewendet hatte, hatte sie ihn dennoch unleugbar enttäuscht.
Sie konnte es ihm nicht verübeln, daß er sie so kalt entlassen hatte, ein strenger Polizist, der eine Bürgerin strafen muß.
Der Empfang im Wohnzimmer munterte sie wieder etwas auf. Wilfred eilte auf sie zu, seine übliche Nonchalance dahin.
»Es heißt, die Polizei ist wieder da. Was ist los?«
»Alles ist in Ordnung«, versicherte sie ihm und ging zu Marjorie, Lady Jo und Phillip an den Teewagen. Sie war vorhin zu aufgeregt gewesen, um sich selbst eine Tasse aus Alecs Kanne einzuschenken. »Mr. Fletcher wollte zuerst die Orinoco zurückrufen lassen, aber dann hat er den Commissioner von Scotland Yard angerufen und hat ihn davon überzeugt, daß der Tod von Lord Stephen ein Unfall war.«
»Ach, der Gute!« rief Wilfred aus.
»Ich wußte, daß er uns helfen würde«, sagte Marjorie träumerisch. »Er ist wirklich eher fabelhaft, findest du nicht auch, Daisy?«
Ihre Tante betrachtete sie mit erheblicher Mißbilligung. »Ein ausgesprochen achtbarer Polizist«, sagte sie nachdrücklich.
»Das sind ja gute Nachrichten, Daisy. Jetzt kann unser lieber Geoffrey ja wieder nach Hause kommen.«
»Er kann doch erst mal in Brasilien bleiben, wenn er schon mal da ist«, sagte Phillip. »Für den richtigen Kerl gibt es da alle möglichen Gelegenheiten, oder?«
»Ich vermute, das wird er auch tun«, stimmte Daisy ihm zu.
»Er schien mir immer einer von den Männern zu sein, die zurückgebliebenen tropischen Ländern die Zivilisation angedeihen lassen können.« Und wenn er einen letzten Rest Vernunft besaß, dann würde er auch um Annabels Willen dort bleiben.
»Sag mal, Daisy, heißt das, wir können jetzt fahren?« fragte Phillip. »Der Detective will uns doch nicht noch einmal sehen, oder? Mittlerweile habe ich die Gastfreundschaft hier wohl doch ein bißchen überstrapaziert.«
»Es ist schon fast dunkel. Vor dem Morgen dürfen Sie nicht fahren«, sagte Lady Josephine, und Marjorie und Wilfred versicherten ihm, daß er auf Wentwater mehr als willkommen war.
»Sehr freundlich, wirklich, aber nach dem ganzen Lärm und Getue mit meiner Schwester und so sollte ich mich doch wohl lieber davonmachen, nicht wahr? Der Regen hat ja auch aufgehört, und mein altes Gefährt saust auch im Dunkeln ganz glücklich durch die Lande. Daisy, mein Mädchen, kann ich dich zurück in die Stadt fahren?«
Sie war sehr versucht. In seinem flotten Zweisitzer nach London zu fahren, würde auch nächtens viel mehr Spaß machen als eine Zugfahrt. Aber sie war sich nicht sicher, ob sie schon genug Material für ihren Artikel beisammen hatte, und außerdem wollte sie sicher sein, daß Annabel sie auch wirklich nicht mehr brauchte. »Danke, Phil, aber meine Arbeit hier ist aufs schmählichste liegengeblieben, und ich hab noch eine Menge zu tun.«
»Arbeit!« murrte er. »Na, meinetwegen, in Ordnung.«
Er ging los, um zu packen und sich von seinen Gastgebern zu verabschieden. Daisy ging hinauf in ihr Zimmer, um wenigstens vor dem Abendessen einen Anlauf zu unternehmen, sich
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