01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
Liebhaber?
Der Graf hatte jedenfalls allen Grund, sich zu freuen, doch war er genauso ernst und förmlich, genauso undurchschaubar wie sonst auch.
Nach dem Essen erklärte Daisy, sie wolle heute keinen Kaffee und werde jetzt den Inspektor aufsuchen. Sofort boten Phillip, James, Lord Wentwater und sogar Sir Hugh an, sie zu begleiten.
»Lieber Himmel, nein, danke sehr«, sagte sie lachend. »Ich denke nicht, daß er mich gleich ins Kreuzverhör nehmen wird.«
Während alle Welt sich fragte, woher sie wohl ihre juristische Sachkenntnis hatte, machte sie sich auf den Weg in den Blauen Salon.
Sie freute sich darauf, den Detective kennenzulernen. Zu Polizisten hatte sie nie Kontakt, außer zu Hause in Worcestershire, wenn sie sich nach der Familie des örtlichen Bobby erkundigte, oder wenn sie einen Londoner Constable nach dem Weg fragte. Ein Chief Inspector war da schon ein ganz anderes Kaliber, zwar kein »richtiger Gentleman«, um es mit dem Diener zu sagen, doch immerhin ein Mann mit Macht und einem gewissen Einfluß.
Obwohl sie sich geweigert hatte, die Unterstützung der Herren anzunehmen, war sie doch ein ganz kleines bißchen nervös, als sie in das kleine Wohnzimmer trat. Es ging nach Norden und war in Hellblau und Weiß gehalten, so daß der Raum eine kühle Atmosphäre ausstrahlte, gegen die das kleine Feuer im Kamin kaum ankam. Ohne Zweifel war das auch der Grund, warum die Familie diesen Salon im Winter nur selten benutzte, so daß er der Polizei zur Verfügung gestellt werden konnte.
Daisy schauderte.
Der Mann, der an einem eleganten klassizistischen Sekretär saß und von seinen Papieren aufsah, war viel jünger, als sie es erwartet hatte - etwa Mitte Dreißig, vermutete sie. Er erhob sich.
Gentleman oder nicht, er war mit seinem tiefgrauen Anzug gut angezogen und trug die Krawatte des Royal Flying Corps.
Mit seinen breiten Schultern erschien er Daisy kraftvoll und entschlossen, und dieser Eindruck wurde von den eher einschüchternden, dunklen und schweren Brauen über den durchdringenden grauen Augen verstärkt.
Allerdings hatte Daisy nicht vor, sich einschüchtern zu lassen. Sie ging über den blauen Wilton-Teppich, streckte die Hand aus und sagte geradeheraus: »Ich bin Daisy Dalrymple.«
»Guten Tag.« Sein Händedruck war kühl und fest, und sein Akzent durchaus gebildet - wenn er auch nicht auf Eton oder Harrow schließen ließ. »Detective Chief Inspector Fletcher von Scotland Yard. Man sagte mir, ich hätte Ihnen mein Mittagessen zu verdanken, Miss Dalrymple.«
»Die Diener schienen der Meinung zu sein, daß ein Polizist über solch menschlichen Regungen wie Hunger steht, Mr. Fletcher.«
Er grinste, und sein Blick wurde milder. Sie sah, daß sein dunkles, dichtes Haar auf ganz wunderbare Weise von seinen Schläfen abstand. Insgesamt war er ein ziemliches Prachtexemplar von Mann, entschied sie.
»Dieser Polizist jedenfalls hatte Hunger. Haben Sie vielen Dank.« Dann wurde er wieder geschäftsmäßig. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, mir die Ereignisse von heute Morgen zu schildern.«
»Aber überhaupt nicht.« Als sie wieder daran dachte, wurde ihr doch ein wenig mulmig. »Na ja, jedenfalls nicht sehr viel. Aber ich kann mir gar nicht vorstellen, daß ich dem noch irgend etwas hinzufügen kann, was James - Lord Beddowe und Fenella Petrie Ihnen schon gesagt haben.« Sie setzte sich auf den nächsten Sessel, und er ließ sich ebenfalls wieder nieder.
»Umgekehrt - Sie könnten mir wohl kaum weniger erzählen als die beiden.« Er zog eine Grimasse. »Ich bin froh, daß Sie keine Beschützer mitgebracht haben.«
»Phillip - Mr. Petrie - und James haben wohl darauf bestanden, Fenella unter ihre Fittiche zu nehmen.«
»Die beiden haben sie kaum mit Ja oder Nein antworten lassen.«
»Und James hat ohne Zweifel seinen alten Adel vor sich hergetragen. Ich werde mal sehen, wie ich Ihnen helfen kann.«
»Es tut mir leid, daß ich Ihnen das zumuten muß, Miss Dalrymple. Erzählen Sie mir einfach in ihren Worten, was geschehen ist.«
Er machte sich mit einem Füller Notizen, während sie sprach. Als sie schließlich berichtete, wie sie ins Haus zurückgekehrt war, um die Photographien zu entwickeln, unterbrach er sie.
»Danke sehr, das kann ich mir jetzt gut vorstellen«, sagte er dann. »Haben Sie die Bilder schon entwickelt?«
»Ja, und Abzüge habe ich auch gemacht. In der Dunkelkammer stehen alle notwendigen Apparate.«
»Ich würde mir die Bilder später gerne anschauen, aber
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