01 - Nacht der Verzückung
fürchterliche Desaster dieses Morgens irgendwie
hinter mich zu bringen«, sagte die Gräfin, während sie in den erstbesten Stuhl
sank und ein spitzenbesetztes Taschentuch an die Lippen führte, »und was aus
der armen Lauten werden soll. Es war mir unmöglich weiterzudenken. Neville,
sage mir, dass sie nicht so fürchterlich ist, wie sie heute Morgen aussah. Sage
mir, dass es nur an der Kleidung liegt ...«
»Du
hast doch gehört, der junge sagte, sie sei die Tochter eines Sergeants, Clara«,
erinnerte sie der Herzog und baute sich mit dem Rücken zu ihnen vor dem Fenster
auf. »Ich denke, die Tatsachen sprechen für sich. Wer war ihre Mutter, Neville?«
»Ich
habe Mrs. Doyle niemals kennen gelernt«, antwortete Neville. »Sie starb in
Indien, als Lily noch sehr klein war. Allerdings gibt es kein blaues Blut in
der Familie, Onkel, wenn es das ist, was du meinst. Lily ist eine Bürgerliche.
Und sie ist meine Frau. Sie trägt meinen Namen und genießt meine Protektion.«
»Ja,
ja, Neville, das ist ja alles schön und gut.« Seine Mutter ergriff ungeduldig
das Wort. »Aber ... o mein Gott, ich kann nicht klar denken. Wie konntest du
uns das antun? Wie konntest du dir das antun? Deine Erziehung und
Ausbildung haben dich zu Höherem bestimmt, als ... als eine Frau zu ehelichen, die
für jedermann wie eine gewöhnliche Bettlerin aussieht und in der Tat ein
Produkt der Unterschicht ist.« Sie erhob sich abrupt und schwankte sichtlich.
»Ich vernachlässige meine Gäste.«
»Arme
Lily«, sagte Elizabeth, die sich zum ersten Mal äußerte. Sie war Nevilles
Tante, die Schwester seines Vaters, aber sie war nur neun Jahre älter als
Neville und er hatte sie niemals mit Tante angesprochen. Sie war unverheiratet
nicht weil sie niemals Angebote bekommen hätte, sondern weil sie schon vor
langer Zeit erklärt hatte, dass sie niemals heiraten würde, solange sie nicht
einen Gentleman fand, der sie davon überzeugte, dass der Verlust ihrer
Unabhängigkeit dem Erhalt derselben vorzuziehen sei - und sie erwartete
nicht, dass dies jemals eintreten könne. Sie war schön, intelligent und hoch
gebildet - und niemand wusste genau, ob der Herzog von Portfrey mehr ihr
Freund oder ihr Liebhaber war. »In unserer Selbstsucht vergessen wir die
Notlage, in der sie sich befindet. Wo ist sie, Neville?«
»Ja, wo
ist sie?«, wiederholte seine Mutter und ihre Stimme klang ungewöhnlich gereizt.
»Nicht hier, nehme ich an. Es gibt auf Newbury Abbey nicht ein einziges
freies Zimmer.«
»Es
gibt einen Raum, der nicht belegt ist, Mama«, sagte Neville steif. »Sie
befindet sich in den Gemächern der Gräfin - wo sie hingehört. Ich habe
sie dorthin gebracht, damit sie essen, baden und schlafen kann. Ich habe
Anweisung gegeben, sie nicht zu stören, bis ich mich um sie kümmern werde.«
Seine
Mutter schloss die Augen und presste sich erneut das Taschentuch an die Lippen.
Die Gemächer der Gräfin, früher einmal ihre eigenen, waren Teil einer
Zimmerflucht, zu der auch das Schlafgemach des Grafen gehörte - Nevilles
Schlafgemach. Er konnte förmlich sehen, wie sie sich der Tatsache bewusst
wurde, dass Lily dorthin gehörte.
»Ja«,
sagte Elizabeth. »Ich bin sicher, dass es für sie das Beste ist, sich eine Zeit
lang auszuruhen. Ich freue mich darauf, ihre Bekanntschaft zu machen, Neville.«
Das
passte zu Elizabeth, dachte er, großzügig, eine Situation so zu nehmen, wie
sie war, und das Beste daraus zu machen.
»Ich
danke dir«, sagte er.
Seine
Mutter hatte sich wieder im Griff. »Später am Nachmittag wirst du mit ihr zum
Tee erscheinen, Neville«, ließ sie ihn wissen. »Es gibt keinen Grund, sie zu
verstecken, oder? Ich werde sie zum gleichen Zeitpunkt kennen lernen wie der
Rest der Familie. Wir werden uns alle so verhalten, wie es deiner ... deiner
Gemahlin gebührt, dessen darfst du dir sicher sein.«
Neville
verbeugte sich vor seiner Mutter. »Ich habe nichts anderes von dir erwartet,
Mama«, sagte er. »Doch jetzt entschuldige mich bitte. Ich muss mich um Lauren
kümmern.«
»Du
kannst von Glück reden, wenn sie dir nicht den Kopf abreißt, Neville«, warnte
ihn Elizabeth.
Er
nickte. »Und wenn schon«, sagte er zu ihr.
Wenige
Minuten später verließ er das Haus und machte sich zu Fuß auf den Weg zum
Witwenhaus, das in der Nähe der Eingangstore des Parks lag, ein Stück von der
Auffahrt entfernt und abgeschirmt durch die Bäume und einen Privatgarten. Er
hatte bereits einen Großteil des Weges hinter sich gebracht, als
Weitere Kostenlose Bücher