01 - Nacht der Verzückung
selbstverständlich als Freunde betrachten können ...
sie waren britische Verbündete. Aber ihre Erfahrungen mit der einen Gruppe
mussten ihr gehörig Angst gemacht haben, einer weiteren Bande zu begegnen. Und
er hatte über jene Reise nicht einmal nachgedacht. »Vergib mir, Lily.«
»Was?«
Sie lächelte ihn an und sah wieder aus wie ihr altes, bezauberndes Ich. »Diese
Wälder sind wunderschön. Alt. Abgeschieden. Erfüllt von Vögeln und Gesang.«
»Überstürze
nichts«, sagte er ihr. »Letztendlich wirst du an den Frieden und die Sicherheit
Englands, und besonders deines Heimes, glauben. Du bist hier sicher, Lily.«
»Ich
habe keine Angst«, versicherte sie ihm und ihr heiteres Lächeln schien die
Worte zu untermauern. »Es war nur ein ... ein Gefühl. Es war dumm. Habe
ich mich verspätet? Ist das der Grund, weshalb du zu mir gekommen bist? Ist
Besuch da? Ich vergesse immer, dass ständig Besuch da ist.«
»Du
hast dich nicht verspätet«, sagte er, »und es ist auch kein Besuch da ... obwohl
wir heute Abend Besuch haben werden. Aber selbst wenn du dich verspätet
hättest und selbst wenn Besuch da wäre, es würde keine Rolle spielen. Du
musst dich hier frei fühlen, Lily. Dies hier ist dein Zuhause.«
Sie
nickte, gab jedoch keine Antwort. Ohne nachzudenken reichte er ihr seine Hand.
Aber bevor er den Arm zurückziehen konnte, nahm sie seine Hand und legte ihre
Finger um sie, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, ihn zu berühren. Es
war eine warme, weiche Hand, die er fest umfasste, als sie sich auf den Weg zum
Haus begaben.
Es war
das erste Mal seit dem Nachmittag in der Hütte, dass er sie berührte. Er
blickte auf ihren blonden Kopf mit dem umkränzten Dutt im Nacken und
seltsamerweise war ihm zum Weinen zumute.
Sie
hatte sich verändert. Sie war nicht länger Lily Doyle, die sorglose junge Frau,
die die Herzen eines harten, abgestumpften Regiments in Portugal, erfreut
hatte. Sie hatte ihre Unschuld verloren. Und dennoch umgab sie sie immer noch
wie eine beinah sichtbare Aura.
Kapitel 12
Am Nachmittag war
es für die Jahreszeit ungewöhnlich heiß geworden. Auch der Abend war warm
geblieben und kurz vor Mitternacht war es immer noch angenehm mild, als Neville
seine Gäste auf der Terrasse verabschiedete. Seine Tante und sein Onkel
Wollston mit ihren Söhnen Hal und Richard, Lauten und Gwen, Charles Cannadine
mit seiner Mutter und Schwester; Paul Longford; Lord und Lady Leigh mit ihrer
ältesten Tochter - sie alle waren zum Dinner gekommen und zu einem Abend
mit Musik und Kartenspiel geblieben.
Für
Lily war es ein schwieriger Abend gewesen, das wusste Neville. Sie spielte
nicht Karten - arme Lily, es war ein weiterer Mangel, den seine Freunde
und Nachbarn an ihr entdeckten. Und während sie bei Hal und Richard geistesverwandte
Gesellschaft hätte finden können, vielleicht sogar bei Charles oder Paul -
er hatte ohne Überraschung bemerkt, dass sie mit Männern stets viel besser
zurechtkam als mit Frauen -, war sie von Lady Leigh und Lady Cannadine
unter deren Fittiche genommen worden, die unentwegt all die anderen Attribute
einer Dame entdeckt hatten, die sie einfach nicht besaß. Dann war sie von
Lauten ins Musikzimmer entführt worden, wo all die jungen Damen mit Ausnahme
von Lily ihre Fähigkeiten am Klavier dargeboten hatten.
Sie
seien absolut fasziniert gewesen, hatte Lady Leigh Neville später am
Abend versichert, zu erfahren, dass Lady Kilbourne oft gezwungen gewesen war,
auf dem harten Boden unter den Sternen der Iberischen Halbinsel zu nächtigen,
umgeben von tausend Männern. Seiner Lordschaft holde Frau musste dazu
überredet werden, ihnen mehr von ihren schockierenden Erlebnissen zu erzählen.
Es
waren oft bedeutend mehr als tausend gewesen, dachte Neville mit stillem
Amüsement und fragte sich, ob die Damen, die von solch skandalösen Neuigkeiten
seine Gräfin betreffend zweifellos angenehm erregt waren, erkannten, dass man
manchmal in der Menge sicherer war.
Nachdem
sich alle anderen zur Bettruhe begeben hatten, blieb er ruhelos. Am Morgen
wieder mit Lily allein gewesen zu sein, mit ihr gesprochen zu haben und Hand in
Hand durch die Natur geschlendert zu sein, hatte das Verlangen wieder entfacht,
dem er in ihrer Begleitung und für die Intimität ihrer Ehe hatte entsagen
wollen. Es ging nicht um sexuelle Intimität - obwohl auch das vorhanden
war, wie er zugeben musste -, sondern um emotionale Nähe, die
Verschmelzung von Geist mit Geist und Herz mit Herz. Er erkannte,
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