01 - Nicht ohne meine Tochter
iranischer Propaganda verfälscht, aber ich hatte wenigstens etwas außer religiösen Büchern und dem Wörterbuch zu lesen, das in meiner eigenen Sprache geschrieben war. Und nun wusste ich auch, welchen Tag wir hatten. Es fiel mir sehr schwer zu glauben, dass ich nur eineinhalb Wochen in Isolationshaft verbracht hatte. Vielleicht gab The Khayan auch das falsche Datum an, dachte ich, genauso wie das Blatt auch sonst Unwahrheiten berichtete. Das Vorhandensein der Zeitung deutete auf eine plötzliche Veränderung meiner Situation oder zumindest in Moodys Verhalten hin. Er erschien jetzt jeden Abend in der Wohnung und brachte mir The Khayan und manchmal eine kleine Überraschung mit.
»Erdbeeren!«, verkündete er, als er einmal spät am Nachmittag nach Hause kam. »Sie waren teuer und schwer zu finden.« Was für ein unerwartetes und offensichtliches Friedensangebot! An dem Abend, als wir damals von Ellen und Hormoz zurückgekommen waren, hatte er Mahtab die Erdbeeren verweigert - das war die letzte Nacht gewesen, in der Mahtab und ich zusammen waren. Es war fast ein Jahr her, dass ich zuletzt eine Erdbeere gegessen hatte. Diese waren winzig und trocken und hatten wahrscheinlich nicht viel Geschmack, aber in dem Moment waren sie etwas Außergewöhnliches. Ich verschlang drei davon, bevor ich mich zum Aufhören zwang. »Nimm sie mit!«, sagte ich. »Ja.«, antwortete er. An einigen Abenden war Moody relativ freundlich zu mir und auch bereit, sich ein wenig mit mir zu unterhalten. An anderen Abenden wirkte er distanziert und drohend. Und obwohl ich ihn fortwährend nach Mahtab fragte, wollte er mir nichts erzählen. »Wie lange soll das so weitergehen?«, fragte ich ihn. Er brummte nur. Ein unglücklicher Tag türmte sich auf den nächsten.
Mitten in der Nacht weckte uns die Türklingel. Immer auf der Hut, um die Dämonen abzuwehren, die ihn plagten, sprang Moody aus dem Bett und rannte ans vordere Fenster. Aus meiner Lethargie erwachend, lauschte ich vom Schlafzimmer aus und konnte die Stimme von Mostafa hören, dem dritten Sohn Baba Hadschis und Ameh Bozorgs. Ich hörte Moody auf Farsi sagen, dass er sofort kommen würde. »Was ist geschehen?«, fragte ich Moody, als er ins Schlafzimmer zurückkam, um sich die Kleider überzuwerfen. »Mahtab ist krank.«, sagte er. »Ich muss sofort hin.« Mein Herz machte einen Satz. »Lass mich mitgehen!«, jammerte ich. »Nein. Du bleibst hier.« »Bitte.« »Nein!« »Bitte, bring sie nach Hause.« »Nein. Ich werde sie nie wieder nach Hause bringen.« Als er zur Tür ging, sprang ich aus dem Bett und lief hinter ihm her, bereit, im Nachthemd durch die Straßen Teherans zu eilen, wenn mir das meine Tochter zurückbringen würde. Aber Moody schob mich beiseite, verschloss die Tür hinter sich und ließ mich mit diesem neuen Schrecken allein. Mahtab war krank! Und krank genug, um Mostafa mitten in der Nacht zu Moody zu schicken. Würde er sie in ein Krankenhaus bringen? War sie so krank? Was war denn nicht in Ordnung? Mein Liebling! Mein Liebling! Mein Liebling!, jammerte ich. Während einer endlosen Nacht mit Tränen und dunklen Vorahnungen versuchte ich, die Bedeutung dieses neuen Stückchens Information über Mahtab herauszufinden. Warum Mostafa?
Dann besann ich mich darauf, dass Mostafa und seine Frau Malouk nur drei Häuserblocks entfernt wohnten. Für Moody wäre das ein bequemer Ort, um Mahtab zu verstecken. Mahtab kannte sie beide und verstand sich auch mit ihren Kindern ziemlich gut. Und Malouk war wenigstens etwas sauberer und freundlicher als einige andere Familienmitglieder. Der Gedanke, dass Mahtab bei Mostafa und Malouk war, beruhigte mich wenigstens ein bisschen, aber es war doch nur ein schwacher Trost für meinen Herzenskummer. Ein Kind braucht seine Mutter noch mehr, wenn es krank ist. Ich versuchte, ihr in Gedanken meine Liebe und meinen Trost zu schicken, und hoffte und betete, dass sie mich hörte und fühlte, welche Sorgen ich mir um sie machte.
Während der vergangenen Wochen hatte ich schon geglaubt, den allertiefsten Punkt erreicht zu haben, aber jetzt drückte mich die Verzweiflung noch tiefer hinunter. Endlich wichen die schweren, traurigen Nachtstunden dem Morgen, aber ich hatte immer noch keine Nachricht. Der Vormittag schleppte sich noch langsamer dahin. Mit jedem Schlag meines besorgten Herzen schrie ich meinem Kind entgegen: »Mahtab, Mahtab, Mahtab!« Ich konnte nicht essen. Ich konnte nicht schlafen. Ich konnte
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