01 - Nicht ohne meine Tochter
zuvorkommend ihr Schlafzimmer an, da sie angeblich genauso bequem auf dem Boden eines anderen Zimmers schliefen, wie in ihrem Doppelbett. Sie legten tatsächlich eine völlige Verachtung für Möbel an den Tag. Ihr Esszimmer enthielt nur einen langen Tisch und ein Dutzend Stühle, im Wohnzimmer gab es moderne Sitzmöbel aus grünem Samt. Aber sie ignorierten diese Relikte des verwestlichenden Schah-Einflusses, hielten die Türen dieser Räume geschlossen und zogen es vor, auf dem Fußboden ihrer Eingangshalle zu essen und sich dort zu unterhalten. Diese Diele war mit Perserteppichen ausgestattet, mit einem Telefon, einem Fernsehapparat deutschen Fabrikats - und mit sonst gar nichts.
Nasserine hielt ihre Wohnung sauberer als Essey, aber schon bald stellte ich fest, dass sie eine entsetzliche Köchin war; sie wusste nichts von Hygiene, Ernährung oder Wohlgeschmack und scherte sich auch nicht darum. Immer, wenn sie eine Lammkeule kaufte oder soviel Glück hatte, ein Hähnchen zu ergattern, wickelte sie die Sachen einfach in Zeitungspapier - auch komplett mit Federn und Eingeweiden - und warf sie in den Gefrierschrank. Dasselbe Fleisch wurde dann vier bis fünf Mal aufgetaut und wieder eingefroren, bis sie es ganz verbraucht hatte. Ihr Reisvorrat war der schmutzigste, den ich bisher gesehen hatte. In ihm lebten nicht nur kleine schwarze Käfer, sondern ringelten sich auch weiße Würmer. Sie machte sich noch nicht einmal die Mühe, den Reis vor dem Kochen zu waschen. Zum Glück fiel bald mir die Aufgabe des Kochens zu. Mammal verlangte zwar iranisches Essen, aber ich konnte mich zumindest vergewissern, dass es sauber war. Endlich wusste ich etwas mit meiner Zeit anzufangen. Während Nasserine ihre Kurse besuchte, machte ich die Hausarbeit: Staubwischen, Fegen, Schrubben und Scheuern.
Mammal war Vorstandsmitglied eines iranischen Pharmabetrriebes, und diese Tatsache verschaffte ihm Zugang zu Rarietäten, wie ich bald feststellte. Nasserines Vorratskammer war mit so erfreulichen Sachen bestückt wie Gummihandschuhen, einem dutzend Flaschen mit wässrigem Shampoo und mehr als hundert Paketen Waschmittel, das sonst kaum zu bekommen war. Nasserine war höchst erstaunt, als sie feststellte, dass man Wände abwaschen konnte, und dass ihre ursprünglich weiß statt grau waren. Sie war sehr zufrieden mit ihrer im Haus wohnenden Haushaltsangestellten, weil sie dadurch mehr freie Zeit nicht nur für ihr Studium, sondern auch für zusätzliche Gebetsstunden und zum Koranlesen hatte. Sie war viel frommer als Essey und blieb auch in ihrer eigenen Wohnung vollständig in den Tschador gehüllt. Die ersten paar Tage spielte Mahtab mit Amir, wenn ich kochte und putzte und Moody seine Zeit damit verbrachte, gar nichts zu tun. In gewisser Hinsicht waren wir zufrieden. Moody sprach nicht mehr davon, zu Ameh Bozorg zurückzuziehen.
Die Iraner neigen dazu, das Leben auf jede nur erdenkliche Art kompliziert zu machen. Moody zum Beispiel nahm mich eines Tages mit, um Zucker zu kaufen, und diese einfache Besorgung wurde zu einer Aufgabe, die den ganzen Tag in Anspruch nahm. Iraner unterscheiden sich in ihrer Vorliebe für die verschiedenen Zuckersorten, mit denen sie ihren Tee süßen. Ameh Bozorg liebte Streuzucker, den sie ungerührt auf dem Boden verstreute. Mammal zog es vor, sich ein Zuckerstück auf die Zunge direkt hinter die Zähne zu legen und dadurch seinen Tee zu trinken. Mammal gab Moody Lebensmittelmarken, mit denen wir von beiden Zuckersorten gleich einen Vorrat für mehrere Monate kaufen konnten. Der Geschäftsinhaber prüfte die Marken und schaufelte ein paar Kilo Streuzucker von einem Berg, der auf dem Boden aufgeschüttet war, als offene Einladung für Ungeziefer. Dann hackte er mit einem Hammer einen Brocken von einem großen Zuckerblock ab. Zu Hause musste ich daraus »Würfel« machen: Zuerst zerschlug ich den Zuckerbrocken in kleine Stücke, dann schnitt ich die Würfel mit einem zangenartigen Werkzeug aus, von dem ich nachher die ganzen Hände voller Blasen hatte.
Mit Arbeiten wie dieser vergingen die trübseligen Tage im Oktober 1984, aber ich stellte einen Fortschritt fest. Moody lockerte seine strenge Überwachung immer mehr. Seiner Ansicht nach konnte ich besser iranisch kochen als irgendein Iraner, und er sah ein, dass ich jeden Tag ausgedehnte Einkaufsgänge auf die umliegenden Märkte machen musste, um das frischeste Fleisch, Obst, Gemüse und Brot zu finden. Nachdem wir Mahtab und Amir wegen des kühlen
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