01 - Nicht ohne meine Tochter
»Sie bleibt die ganze Zeit hier, während du in der Schule bist.« Mahtab nickte und erlaubte einer Hilfslehrerin, sie in die Klasse zu bringen. Auf halbem Weg durch den Flur guckte sie sich um. Als sie mich auf dem Stuhl sitzen sah, ging sie weiter. »Du bleibst hier, bis ich komme.«, wiederholte Moody. Dann ging er.
Der Morgen schleppte sich dahin. Ich hatte mir nichts mitgebracht, womit ich mir die Zeit vertreiben konnte. Die Flure leerten sich, als die Schülerinnen sich in ihre Klassen begaben, und bald drang die erste Morgenlektion an mein Ohr. »Marg bar Amrika!«, erklang aus jeder Klasse. »Marg bar Amrika! Marg bar Amrika!« Immer wieder wurde die Parole in die fügsamen Gehirne der Schülerinnen gehämmert und in die Ohren meiner unschuldigen Tochter gerammt, offizielle Politik der Islamischen Republik Iran: »Tod Amerika!«
Nachdem die politischen Rituale vorüberwaren, ging ein leises Summen durch die Flure, als die Schülerinnen sich zu ihrer ruhigeren Routine des Auswendiglernens niederließen. In jeder Klasse, selbst bei den älteren Schülerinnen, sangen die Lehrerinnen eine Frage, und die Schülerinnen antworteten im Chor, formten alle dieselben Worte. Es gab keinerlei Spielraum, keinen Platz für eigenständige Gedanken oder Fragen, nicht einmal für einen eigenen Tonfall. So war auch der Unterricht gewesen, den Moody als Kind bekommen hatte. Als ich darüber nachdachte, begriff ich schon eher, warum so viele Iraner duckmäuserisch jeder Autorität folgten. Sie schienen alle Schwierigkeiten zu haben, selbst eine Entscheidung zu treffen. Bei dieser Art Erziehung wäre es nur natürlich, sich in die Hierarchie einzufügen, an Untergeordnete strenge Befehle auszuteilen und Übergeordneten blinden Gehorsam zu leisten. Es war dieses Schulsystem, das einen Moody hervorgebracht hatte, der totale Kontrolle über seine Familie fordern und erwarten konnte, und eine Nasserine, die sich der Herrschaft des überlegenen Mannes fügte. Ein solches Schulsystem konnte eine ganze Nation hervorbringen, die ohne Zögern einem Ayatollah, der dem Land als Gewissen und Verstand diente, gehorchen würde, bis in den Tod. Wenn es all das fertigbrachte, was, so fragte ich mich, würde es einem kleinen fünfjährigen Mädchen antun.
Nach einer Weile, trat Khanom Schahien in den Flur hinaus und bedeutete mir, ich solle in das Sekretariat kommen. Ich reagierte mit einer iranischen Geste der Verneinung - ich hob den Kopf etwas und klickte mit der Zunge. Im Moment hasste ich den Anblick aller Iraner, insbesondere die unterwürfigen Frauen in ihren Tschadors. Aber die Schulleiterin winkte mich freundlich, mit leisen Worten, beharrlich, hinein. Ich betrat das Büro. Mit Hilfe weiterer Gesten bot Khanom Schahien mir einen bequemeren Stuhl und Tee an. Ich nahm an und nippte an meinem Tee, während ich den Frauen bei ihrer Arbeit zuschaute. Trotz der bösartigen anti-amerikanischen Parole, die sie ihren Schülerinnen beibringen mussten, schienen sie mir freundliche Gefühle entgegenzubringen. Wir machten mit wenig Erfolg ein paar Versuche, uns zu unterhalten. Ich brannte darauf, das Telefon zu benutzen, das in Reichweite vor mir stand, und die Botschaft anzurufen, aber ich wagte nicht, schon am ersten Tag solche Vorstöße zu machen.
Es gab drei Schreibtische für die fünf Angestellten in dem kleinen Büro. Die Schulleiterin saß in einer Zimmerecke und tat anscheinend gar nichts. An den anderen Schreibtischen saßen Schreibkräfte, die mit einer Hand ein paar Papiere sortierten und mit der anderen ihren Tschador am Hals festhielten. Gelegentlich stand eine auf, um eine Klingel zu betätigen. Sie wickelten ein paar Anrufe ab. Aber der größte Teil ihrer Zeit wurde mit Plaudern verbracht, bei dem es sich, obwohl ich den Inhalt nicht verstand, offensichtlich um seichten Klatsch handelte.
Etwa in der Mitte des Vormittags gab es Lärm im Flur. Eine Lehrerin platzte zur Bürotür herein, mit einer Schülerin im Schlepptau, die den Kopf vor Scham gesenkt hielt. Die Lehrerin zählte schreiend eine lange Reihe von Anschuldigungen auf und benutzte dabei häufig das Wort »Bad!«, das in Farsi genau wie im Englischen »schlecht« heißt. Khanom Schahien und die anderen Angestellten im Sekretariat stimmten in die Attacke ein. Im Chor überschütteten sie das Mädchen mit Demütigungen und brachten es zum Weinen. Während die Strafpredigt noch andauerte, führte eine der Angestellten ein Telefonat. Binnen weniger Minuten trat
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