01 Nightfall - Schwingen der Nacht
gesehen, die Geräusche auszublenden, die sie gehört hatte – zu spät. Die bestürzte Miene Dantes, als er Chloes Leichnam entdeckte, und der verzweifelte Ton, der sich seiner Brust entrang, würden sie von jetzt an wahrscheinlich auf ewig verfolgen.
Wie der Schrei im Schlachthaus.
Ein Stuhl wurde zurückgeschoben, kratzte über den Boden. De Noir. Heather senkte die Hände und sah auf. Er sammelte die Berichte ein und stopfte sie in den Aktendeckel zurück.
»Ich werde sie verbrennen«, sagte er mit ruhiger Stimme.
»Nein.« Sie setzte sich auf. »Dante muss das erfahren … er muss sehen …«
»Das?« De Noir wedelte mit dem Aktendeckel vor ihrer Nase herum. »Nein. Muss er nicht. Nein.« Er nahm die CD und schloss die Faust darum. Plastik knirschte und brach in mehrere Stücke.
»Was tun Sie da?«, rief sie und sprang auf. »Wir brauchen das …«
»Wofür?« De Noir warf die Stücke der CD durch die Küche. »Um meinem Kind wehzutun? Um es noch einmal zu brechen? Die Vergangenheit kann man nicht verändern.«
Heather starrte den großen Mann an.
Mein Kind?
In diesem Augenblick begriff sie, in welcher Beziehung De Noir und Dante zueinanderstanden – aufmerksam, beschützend, diskret. Die plötzlich auftauchenden goldenen Flecken in Dantes dunklen Augen … »Weiß er es?«
De Noir nickte und wandte dann den Blick ab. »Ich habe es ihm heute gesagt. Ich hatte gehofft …« Er brach ab und schüttelte den Kopf. Dann legte er einen Finger an die Kuhle an seinem Hals.
Der Anhänger mit der x-förmigen Rune war verschwunden. Heather sank wieder auf ihren Stuhl. »Kein Wunder, dass er nicht gewartet hat, als ich ihn darum bat«, sagte sie. »Er war auf der Flucht vor Ihnen.«
»Nein«, antwortete De Noir. Er blickte ihr tief in die Augen. Seine Pupillen blitzten golden. »Er dachte, er müsse für Gina und Jay Sühne leisten … wegen des Mädchens, an das er sich nicht erinnern kann.«
Sühne. Alles, was Dante je etwas bedeutet hatte, hatte man ihm seit seiner Geburt immer wieder entrissen. Wenn er jemanden ins Herz schloss, folgte darauf Leid. Heather fuhr
sich mit der Hand durchs Haar. Er war allein zu Ronin gegangen, damit zumindest diesmal kein anderer sterben oder an seiner statt leiden musste.
»Ich brauche diese Akte, um Dante zu finden«, sagte sie. »Elroy Jordan hat ihn in seiner Gewalt, und der Grund dafür steht vielleicht da drin.«
»Um ihn zu quälen – genau wie Sie es vorhergesagt haben«, antwortete De Noir leise. »Sie haben mich davor gewarnt, dass ich es nicht aufhalten könne. Aber ich wollte nicht auf Sie hören.«
Die tiefe Niedergeschlagenheit in De Noirs Stimme tat Heather weh. Sie schüttelte den Kopf. »Machen Sie sich keine Vorwürfe«, antwortete sie. »Sie dachten, Sie könnten ihn beschützen. «
Sie stand auf und trat an die Theke. Ein schwacher Duft von Kaffee hing in der Luft. Sie kippte den alten Kaffeesatz in den Müll, schwenkte den Filter im Spülbecken aus und löffelte neuen Kaffee hinein.
Elroy Jordan war der Cross-Country-Killer. Vielleicht war Ronin an den Morden beteiligt gewesen, vielleicht hatte er Jordan auch nur in Dantes Richtung gelenkt. Ronin hatte gewusst, dass sowohl Dante als auch Jordan an Johanna Moores Psychopathen-Experiment teilgenommen hatten. Aber woher hatte er diese Information gehabt?
Sie schüttete Wasser in die Kaffeemaschine, stellte die Kanne auf die Heizplatte und schaltete den Apparat ein. Was war mit Ronin geschehen? Sie warf einen Blick auf De Noir. Er stand reglos neben dem Tisch, den Aktendeckel in einer Hand, den Kopf gesenkt. Sein schwarzes Haar verdeckte sein Gesicht. Er schien zu lauschen, und sein Körper zitterte fast vor Anstrengung.
»Dante«, hauchte er. »Ah, still, Kind. Ich werde dich finden. « De Noir hob den Kopf und sah Heather an. »Ich habe
ihn gerade gespürt … ihn gehört … zumindest einen Augenblick lang. Er ist …« Er hielt inne und schwieg.
De Noirs Miene signalisierte Heather, dass das, was er von Dante erfahren hatte, alles andere als beruhigend gewesen war. Ihr Herz verkrampfte sich. »Ronin«, sagte sie trotzdem. »Was ist mit ihm passiert?«
»Er ist tot.«
Was auch immer Ronin geplant hatte, ob er jemanden entlarven oder erpressen wollte, war mit ihm gestorben. Wie viel hatte er Elroy über Bad Seed erzählt? Genug, vermutete sie, gerade genug, um ihn zu kontrollieren. Genug, um ihm Appetit auf die ganze Geschichte zu machen.
Heather hörte zu, wie der Kaffee in die Kanne
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