01 Nightfall - Schwingen der Nacht
das Spielen bei. Er hat ein außerordentlich gutes Gehör und lernt sehr schnell. Zeigt eine echte musikalische Begabung …
S wird zur Beobachtung und zu Untersuchungen sediert und in die Anstalt gebracht. Dr. Wells und ich sind neugierig zu erfahren, wie viel ein geborener Vampir körperlich aushalten kann. Wir werden morgen mit den Experimenten beginnen …
Erinnerungsfragmente tauchten aus seinem Unterbewusstsein auf, getragen auf den Flügeln gigeresker Wespen: ein kalter Stahltisch. Ketten. Nadeln. Ein blutiger Baseballschläger in der Hand eines Assistenten mit einem Gesichtsschutz und einem blutbespritzten Labormantel. Unsäglicher Schmerz wischte die Bilder weg. Er erinnerte sich nicht. Er durchlebte seine Vergangenheit. Elroys flache Hand beförderte Dante in die Gegenwart zurück.
»Lies weiter«, wisperte Dante.
Der Perverse starrte ihn einen Moment lang an, leckte sich die Lippen und fuhr dann mit dem Lesen fort.
Die Experimente werden wiederholt, sobald S in die Pubertät kommt … falls Vampire einen Entwicklungsprozess wie eine Pubertät durchlaufen. Jedenfalls sicher faszinierend …
S zeigt für ein anderes Pflegekind in seinem neuen Zuhause große Zuneigung. Es handelt sich um ein Kind namens Chloe Basescu. Er kümmert sich um sie. Sie nennt ihn aus einem unerfindlichen Grund »Dante-Engel« – vielleicht weil er sie vor ihrem P flegevater beschützt. S und Chloe schlafen häufig im selben Bett, ohne dass es jedoch um Sex geht.
S zeigt Anzeichen von etwas, das ich für Vampir-Pubertät halte. Er treibt sich nachts herum, wechselt innerhalb seiner
Altersgruppe häufig den Sexualpartner, beißt, ist von Blut fasziniert und nicht länger mit seiner täglichen Dosis »medizinischen« Bluts zufrieden. Er will auf die Jagd. Seine Gefühle scheinen ihn sowohl zu erregen als auch zu verwirren. Seine Bedürfnisse überwältigen ihn beinahe. Er vertraut sich Chloe an. Das macht mir Sorgen …
Es ist Zeit, Dante Chloe wegzunehmen.
Dante drängt Chloe in eine Ecke. »Duck dich«, wispert er. »Ich werde nicht zulassen, dass sie dir etwas tun.«
Als Chloe in die Hocke geht, Orem den Orca an die Brust gedrückt, stellt sich Dante vor sie. Er knurrt. Drei Männer in schwarzen Anzügen – abgrundtief schlechte Männer wie Wells, Papa Prejean oder all die abartigen Arschlöcher, die runter in den Keller kommen – verteilen sich in dem Raum mit den weiß wattierten Wänden.
Hunger oder Gier brennen in Dante. Ihre pochenden Herzen ziehen ihn magisch an. Ihr Geruch nach Schweiß und Hopfen lässt ihn fast schwindelig werden. Alle drei stürmen zugleich auf ihn zu. Dante lässt sich fallen, wirbelt herum, kratzt sie mit seinen Nägeln. Heißes Blut spritzt ihm ins Gesicht. Der Blutgeruch dringt in ihn, und er verliert sich darin. Er geht auf die Knie und schlägt seine Reißzähne in weiches Fleisch. Blut strömt ihm in den Mund, süßer als Lakritz, berauschender als heimlich getrunkener Whisky. Er kann nicht genug bekommen. Er trinkt und trinkt, bis nichts mehr da ist.
Noch immer auf Knien sieht Dante sich um. Alle drei abgrundtief schlechten Männer liegen mit dem Gesicht nach unten auf dem blutbesudelten Boden. Er fährt herum, wischt sich den Mund ab und fasst nach Chloe. Seine Hände erstarren an seinem Mund. Sein Herz beginnt zu rasen … und bricht.
Chloe …
Dantes Prinzessin, seine kleine Schwester, sein Ein und Alles. Er schrie, als sich die fehlende Erinnerung durch den Schmerz bohrte. Schreiend riss er an den Handschellen, hustete Blut und verschluckte sich fast daran. Eine Nadel bohrte sich in seinen Nacken. Kälte breitete sich in seinen Adern aus.
Während Dante ins Dunkel der Drogen sank, löste sich Chloes Bild in Luft auf – Nein! Ich will sie behalten! Lasst sie mir!
Doch noch deutlich hallten eine Frage und ihre Antworten in seinem Inneren wider:
Wovor hast du Angst, Blutgeborener?
Nicht vor dir, Voyeur. Nicht vor dir.
Vor mir.
Jemand lachte, und Dante wusste nicht, ob das er selbst oder Elroy war. Aber wer es auch sein mochte: Er lachte und lachte und lachte und hörte nicht mehr auf.
Heather nahm die CD aus dem Laufwerk des Laptops. Mit den Ellbogen auf dem Tisch vergrub sie ihr Gesicht in den Händen. Sie war erschöpft und zu Tode betrübt. Dante war so sehr in seinem Kampf, seiner Wut und seinem Blutdurst gefangen gewesen, dass er nach allem und jedem schlug, der in seine Nähe kam – inklusive Chloe. Sie versuchte, die Bilder zu verdrängen, die sie
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