01 Nightfall - Schwingen der Nacht
Gefallenen haben?«
Dante starrte sie verblüfft an. »Woher weißt du das?«, fragte er.
»Dein Vater hat es mir gesagt.«
Dante nickte und sah dann weg. Ein Muskel zuckte in seinem Kiefer. Nach einem Moment meinte er: »Ich bin ziemlich sicher, dass es eine Fähigkeit der Gefallenen ist. Ich dachte früher immer, es sei typisch für Nachtgeschöpfe, aber jetzt …« Er zuckte die Achseln.
»Kannst du es kontrollieren?«
»Nicht immer. Nein.« Er sah Heather an. In seinen Augen spiegelte sich Licht.
»Hast du es da kontrolliert?«
»Mehr oder weniger.«
»Das heißt?«
»Das heißt, dass ich im Grunde nicht wusste, was ich erreichen wollte«, erklärte er leise. »Aber ich wollte es zu Ende bringen. Ich wollte ihr böses Spiel endlich beenden.« Wieder strich er mit dem Daumen über ihren Handrücken – vor und zurück, vor und zurück. Es war eine tröstliche Geste für beide, wie sie zu spüren meinte.
Dante war ein Nachtgeschöpf, ein Gefallener und ein Mörder. Mehr als genug, um die meisten Frauen – jedenfalls Frauen mit gesundem Menschenverstand – schreiend davonrennen zu lassen. Aber da war so viel mehr: ein Junge, der seiner Prinzessin eine gute Nacht wünschte und dann allein in den Keller ging; ein Mann, der mit seinen Gefühlen kämpfte, als er seine Jacke über die Leiche einer Freundin breitete und sich neben sie setzte, damit sie nicht allein sein musste; ein Geliebter, der so sehr zu ihr passte – ihrem Körper und ihrem Herzen –, wie das noch nie zuvor ein Mann getan hatte und der sie bat zu bleiben.
Es ist so still, wenn ich mit dir zusammen bin. Der Lärm verstummt.
Lauf so weit weg, wie du kannst.
Spiegelte eine dieser Äußerungen Dantes wahren Kern wider? Oder möglicherweise sogar beide? Hatte er je ein Leben geführt, das ihm allein gehörte? Heather schaute in seine dunklen Augen, in sein schönes, perfektes Gesicht. Trotz allem oder vielleicht gerade weil er so war, hatte er ihr Herz gewonnen. Sie wusste nicht, was sie am meisten von all dem ängstigte. Sie wusste nur eines: Sie musste erst einmal Antworten finden. Sie musste erst einmal wieder zu Atem kommen.
»Wohin führt das alles?«, fragte Dante und sah sie aufmerksam an. Sein Daumen lag jetzt reglos auf ihrer Hand. »Heather?«
»Ich will nach Hause«, sagte sie leise, aber entschlossen. »Sobald ich entlassen werde, fliege ich nach Seattle zurück.
Ich muss wahnsinnig viele Dinge klarstellen und abarbeiten. «
»Das musst du nicht allein tun.«
»Doch.« Heather zog ihre Hand aus der seinen und hielt sich an dem kühlen Metallgitter fest, das ihr Bett umgab. »Doch, Dante. Ich muss mir über einiges klarwerden. Ich muss nachdenken. Ich brauche ein wenig Raum. Ein wenig Zeit. Nichts von alldem, woran ich geglaubt habe, ist so, wie ich es bisher angenommen und geglaubt habe.«
Auf seinen Lippen zeigte sich die Andeutung eines Lächelns. »Nichts und niemand. Ich verstehe, was du meinst.«
Heather legte eine Hand auf seine Wange. »Da bin ich mir sicher.«
Dante schloss die Augen und lehnte sich gegen ihre Hand, ehe er die seine darauf legte.
»Du brauchst auch Zeit«, flüsterte sie. »Du mehr als alle anderen.«
»Sag mir nicht, was ich brauche.« Dantes Stimme klang belegt und rau.
»Sturkopf«, murmelte sie.
Auch wenn er es leugnete, so war doch seine Welt, ja sein ganzes Leben in tausend Stücke zerrissen und seine verborgene Vergangenheit ans Tageslicht gezerrt worden. Wusste er das schon? Hatte De Noir ihm davon erzählt? Sollte sie es vielleicht tun?
»Hat dein Vater schon mehr über Bad Seed erzählt?«, fragte sie und ließ die Hand sinken, mit der sie seine Wange berührt hatte.
Dante schlug die Augen auf. Etwas flackerte in ihren Tiefen – Schmerz oder Trauer oder auch Zorn. Dann verschwand es wieder. »Nein. Elroy hat mir davon erzählt. Aber ich kann mich nicht daran erinnern. Es entgleitet mir immer wieder.«
Er schüttelte den Kopf. »Ganz gleich, wie sehr ich es auch versuche.«
Jordan. Diese Qualen. »Oh, Dante. Es tut mir so leid«, flüsterte sie.
»Das muss es nicht.« Ein Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. Er nahm die Brille von der Stirn und setzte sie auf. »Es ist ja nicht deine Schuld.« Entschlossen stand er auf, beugte sich noch einmal zu ihr herab und streifte mit den Lippen die ihren.
»Das muss kein Abschied für immer sein«, murmelte Heather an seinem warmen Mund. » Du bedeutest mir viel. Das weißt du, oder?«
»Du mir auch«, flüsterte er und strich mit
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