01 - Schatten der Könige
sogar zu gefährlich, sie überhaupt zu betreten, wegen der verrotteten Böden und den zerfallenen Mauern. Der ganze Söldnerabschaum und die Parasiten wohnen rund um den Platz des Reisenden und in einigen größeren Gebäuden entlang der Großen Wand, also werden auch nur dort Reparaturen durchgeführt.« Sie bogen um eine Ecke, und Babrel ging auf ein dreistöckiges Gebäude zu, das an einen der vielen Felszacken angebaut war, die Trevada umschlossen.
Nerek blieb misstrauisch stehen. Ihre Miene war hart. »Wir werden beobachtet«, erklärte sie. Babrel zuckte mit den Schultern. »Aasgeier, Bettler, Trunkenbolde … Ausgestoßene«, sagte er zu Suviel. »Du hast bisher nichts über deine Gefährtin gesagt, und ich hüte mich, dich nach ihr zu fragen. Aber jeder sieht, wie gefährlich sie ist.« Er humpelte langsam weiter. »Niemand würde sich mit uns anlegen. Komm.«
Er führte sie durch eine Gasse, an deren Ende vor eine Lücke zwischen zwei Häusern ein großes Stück Segeltuch gespannt war, das die Jahre hatten ergrauen lassen, und das mit Schimmelflecken übersät war. Der stechende Geruch von feuchtem, verfaulendem Tuch stieg Suviel in die Nase, während Babrel es beiseite schob und die Frauen und ihre Pferde hindurchwinkte. Suviels Ross zuckte zurück, und zögerte, von dem dämmrigen Licht in die totale Finsternis zu gehen, aber während Suviel es beruhigte, ging Babrel hinein und zündete mit einem Zunderrad eine Lampe an.
Ihr gedämpftes Licht enthüllte einen hohen Raum mit einem Tresen an einer Seite und einer zerfallenen Treppe, die in das obere Stockwerk führte. Ein Haufen zerbrochener Möbel türmte sich in einer Ecke, aber der Boden schien frisch gewischt zu sein. Suviel sah sich um, und irgendwie kam ihr der Raum vertraut vor, während sie ihr Pferd an einen hölzernen Pfeiler band.
»Ist das nicht der
Rock des Wirtes?«
Hinter dem Tresen wo früher die Fässer lagerten, befand sich eine lange Nische, in deren leeren Regalen einst Humpen und Flaschen gestanden hatten. Das war eine Schänke für die Aufseher der verschiedenen Akademien und Büchereien von Trevada gewesen. Der
Rock des Wirtes
war Studenten und ihren Lehrern gleichermaßen verboten, und bot gleichzeitig eine Bühne für viele berühmte Poeten und Minnesänger. Damals war es ein verbreitetes und gern zitiertes Gerücht, dass Avalti den größten Teil seiner
Ode an die Hochgeschätzte Königin
zwischen diesen Mauern verfasst hätte.
»Nach dem Fall von Trevada«, sagte der alte Mann, »und nach den Plünderungen und den Massakern habe ich mich monatelang in diesen Ruinen versteckt. Ich wusste nicht, wohin ich mich hätte wenden sollen. Schließlich wurden diese Mauern mein Heim.« Er schaute hoch. »Ich bewohne ein Zimmer im oberen Stockwerk, sogar ein recht komfortables. Es gibt noch andere Räume, die du und deine Gefährtin benutzen könnt, falls ihr das wollt. Der einzige Weg nach oben führt über eine versteckte Leiter. Diese Treppe da ist eine unpassierbare Falle.«
»Sehr nützlich, wenn du vor Eindringlingen gewarnt werden willst«, erklärte Suviel. »Aber nur, wenn du noch einen anderen Fluchtweg hast«, warf Nerek ein.
Sie stand an dem Tresen und strich mit den Fingern über die Brandflecken und die Scharten auf dem dunklen Holz, während sie die leeren Fässer und Simse betrachtete. »Hast du einen Schatz versteckt, alter Mann? Irgendwelche Taler und Heller?«
Zu Suviels Überraschung lächelte Babrel. »Nein, nur wertloses Zeug. Einige armselige Schnitzereien, die ich selbst hergestellt habe, und die eine oder andere kümmerliche Pflanze.« Er drehte sich zu Suviel herum. »Möchtest du sie sehen?«
Suviel sah Nerek an. »Wenn du erlaubst?«
Das Spiegelkind zuckte mit den Schultern. »Wir müssen ohnehin bis zum Einbruch der Nacht hier bleiben, also begaffe diesen Tand, so viel du willst. Aber halte dich versteckt und gib acht.« Es war eine indirekte Anspielung auf Nereks unsichtbaren Wächter, und Suviel schwieg, während sie Babrel aus dem Schankraum folgte. Hinter einem niedrigen Durchgang kamen sie an türlosen Kammern und Dienstbotenzimmern vorbei in einen größeren Raum, in dem sich zerschmetterte Fässer und Kisten stapelten. Babrel hatte eine Kerze entzündet, und in deren Licht erkannte Suviel dunkle Flecken auf den staubigen Bodenbrettern, eingetrocknetes Blut. Aber Babrel hatte den Raum bereits durchquert und öffnete knarrend eine Tür. Suviel hastete hinter ihm her und fand sich im Freien wieder,
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