01 - Schatten der Könige
schläft, Feuer, das wütet, Feuer, das sieht, Feuer, das …«
Etwas berührte ihre Haut, und als sie sich rasch zur Seite umdrehte, sah sie etwas über ihrer Schulter schweben, eine fedrige Form, die in flammenden Farben schillerte. Im nächsten Moment war es verschwunden und sie starrte nur noch in die Luft.
»Das Feuer, das sieht.« Nerek schien zufrieden. »Ich habe einen Diener erschaffen und lasse ihn über dich wachen. Ich gab ihm meinen Atem und mein Wort, sodass ich augenblicklich erfahre, falls du vorhast… Schwierigkeiten zu machen.«
Suviel erwiderte Nereks Blick so würdevoll, wie es ihr noch möglich war. »Da mein Schicksal jetzt in deiner Hand liegt, bleibt mir nichts übrig, als dir zu vertrauen. So sei es.«
Nerek lachte leise und spöttisch, aber Suviel sah den Schatten der Unsicherheit in ihren Augen, bevor sie sich umdrehte und wegging, um die letzten Befehle zum Aufbruch zu geben.
Regenschauer prasselten auf sie herunter, als sie schließlich von der Lichtung ritten. Es war mild und duftete nach feuchter Erde und Pflanzen, dennoch lag der Gestank des Verfalls so schwer in der Luft, dass Suviel ihn beinahe greifen konnte. Gelegentlich folgte ihnen das Heulen eines unsichtbaren, wilden Tieres, das jedoch eher trauernd als bedrohlich wirkte, und einmal sah Suviel, wie ein schwarzes, pelziges Geschöpf den Weg vor ihnen kreuzte. Es hatte die Gestalt einer Ratte, jedoch die Größe eines Hundes.
Kurz darauf gelangten sie an einen Waldrand, hielten kurz an, und Nerek gab ihre letzten Befehle. Die Maskierten schlugen sich nach Norden ins Unterholz, während Nerek und Suviel und ihr unsichtbarer Wächter nach Trevada weiterritten.
Die Gipfel des Oshang Dakhal erhoben sich vor ihnen, ein etwa zwei Meilen weiter Halbkreis von felsigen Vorgebirgen und Klippen, die steil bis zu den blanken Gipfeln anstiegen, auf denen die Erhabene Basilika und die Akademie der Magierzunft lagen.
Zwischen dem Berg und dem Wald wurde ein breites Tal von einem Fluss geteilt. Die Gegend war vollkommen zerstört. Ansammlungen verbrannter Baumstümpfe ragten aus dem von Unkraut übersäten Boden, Abfälle dümpelten auf stehenden Gewässern, und nur die zerborstenen Reste ehemaliger Mauern kündeten davon, dass hier einst Menschen gelebt hatten.
Die Brücke über den Fluss bestand aus großen, grob behauenen Steinquadern, und als Suviel näher kam, erkannte sie, dass es Säulen und Steine eines ehemaligen Vater Baum-Tempels waren, der einst dicht am Ufer gestanden hatte. Sie hatte erwartet, dass ihr Wissen, dass sie aus Berichten von Reisenden gewonnen hatte, sie auf die vergiftete, zerstörte Umgebung vorbereitet hätte, aber die Wirklichkeit erschütterte sie dennoch. Als sie über die Brücke ritten und Suviel sah, wie unzählige Füße und Hufe und Karrenräder die wundervollen Reliefs zerschlagen hatten, weinte sie. Vorbei, dachte sie. Alles ist untergegangen, die Gärten und die Singvögel und die Haine aus duftendem Ankeril, die Heime der Bauern und Künstler, all die Süße von Prekine, das alles wurde dem Erdboden gleich gemacht und ausgelöscht.
Es mit eigenen Augen zu sehen war schlimmer, als es aus zweiter und dritter Hand zu hören. Mitten auf der Brücke zügelte sie ihr Pferd und blickte in die angeschwollenen Wasser des Stromes hinab, den sie einst unter dem Namen Aithel gekannt hatte. Tränen liefen ihr über die Wangen, während sie in die schmutzigbraunen Fluten starrte und mit dem Gedanken spielte, sich hineinzustürzen. Ihr Tod würde ihre Erschöpfung und ihren Schmerz beenden, und sie musste nie wieder trauern und kämpfen und sich über die Verluste grämen. Doch bevor sie absteigen konnte, flammte neben ihrer Schulter ein bernsteinfarbenes Licht auf, und eine bleierne Mattigkeit legte sich über sie. »Was ist? Was hattest du vor?«
Nerek lenkte ihr Pferd neben sie und riss Suviel ärgerlich die Zügel aus den wehrlosen Händen. Dann sah sie ihre Tränen, und ihr Ärger wich Verwirrung. »Du wolltest dich in das Wasser stürzen? Warum?«
Zum ersten Mal empfand Suviel heißen, unvernünftigen Hass auf diese Frau, und stellte sich vor, wie sie ihr die Hände um den Hals legte. Doch im selben Moment packte sie die Scham, und sie schreckte vor dem Bild zurück. Sie senkte den Kopf und wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Du weißt nicht, wie es hier vor dem Einfall der Mogaun ausgesehen hat«, erwiderte sie. »Und ich kann dir nicht erklären, wie es sich anfühlt, es jetzt zu sehen.«
Nerek
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