01 - Schatten der Könige
einem Würgen. In der entstandenen Stille sprach niemand ein Wort, und das Keuchen des Mannes zog sich hin, wobei der Alte seine blasse, trockene Zunge aus seinem weit aufgerissenen Mund streckte. Viehisches Entsetzen glomm in seinen Augen, und einen kurzen Moment schaute er zu Gilly hinüber. Jemand in der Menge stieß einen unterdrückten Schrei aus, andere taten es ihm nach, und dann sah es auch Gilly. Im Mund des gequälten Schamanen glühte ein smaragdgrünes Licht auf, das langsam über seine Unterlippe glitt und dann in der Luft schwebte. Einen Augenblick verblieb es im Brennpunkt aller Blicke, dann flog es rasend schnell in einem Streifen aus Licht auf Yasgur zu. Instinktiv drehte er den Kopf zur Seite, und Gilly war nicht der einzige Zuschauer, der aufschrie, als der hellgrüne Fleck die Wange des Prinzen traf und sich hineinbrannte. Als das Blut aus der Wunde rann, ließ sich der gefesselte Yasgur zur Seite fallen, wand sich heftig auf dem Boden und brüllte vor Schmerz und Furcht. Das Chaos brach los. Krieger taumelten hastig vor ihm zurück, während andere sich vordrängten, weil sie besser sehen wollten, und über den Tumult erhob sich die Stimme des Schamanen Jaroul, der vergeblich Befehle brüllte.
Allmählich beruhigte sich die Menge, verfiel in eine seltsame Ruhe und wich langsam zurück. Gilly sah, wie Yasgur aufstand. Seine Haltung war selbstbewusst und ruhig, und er hielt die zerschnittenen Fesseln in den Händen. Eine grünliche Aureole umgab ihn und warf einen bösartigen Glanz über sein Gesicht. Seine Augen glommen, und seine Lippen hatten sich zu einem gierigen, erwartungsvollen Lächeln verzogen.
»Mächtiger Hegroun!«, schrie der Schamane und warf sich dem Prinzen zu Füßen. »Wir sind deine Diener: Befiehl über uns!«
Hegroun?, dachte Gilly. Was ist das für eine Hexerei?
Der besessene Häuptling ignorierte den Ausbruch des Schamanen, trat um ihn herum und glitt mit einer Raubtierhaften Leichtigkeit zu der Stelle, wo Tauric mit gebundenen Händen stand. Der junge Thronerbe zuckte unmerklich zurück, als die Gestalt sich dicht zu ihm beugte, ihn musterte und seine grüne Aura das Haar und das Gesicht des Jungen streifte.
»Ich kann ihn in dir riechen«, sagte Hegroun. »Du teilst sein Blut und sein Schicksal.« Er drehte sich um und ließ seinen Blick über die Krieger gleiten, bis er an Atroc hängen blieb. »Nun, alter Mann, du atmest noch? Mischst du dich auch immer noch ein?«
Atroc neigte den Kopf. »Jeder nach seiner Natur, Herr.«
Hegroun schnaubte. »Du hast dich nicht verändert. Selbst wenn du nur wenig sagst, ist es noch zuviel.« Er schaute den Schamanen an. »Binde den Jungen an einen Baum und lass die Männer Feuerholz suchen. Dann gib mir einen Speer. Finden wir heraus, ob er genauso gut brennt wie sein Vater.«
Seinen Worten antwortete lauter Jubel, und die Mogaun zerstreuten sich in Gruppen, um im Wald Feuerholz zu sammeln. Als Tauric unter heftigen Widerstand zu einem schlanken Baum gezerrt wurde, fluchte Gilly laut und erntete dafür einen beiläufigen Hieb von seinem Wächter. Atroc stand neben ihm und verfolgte das Spektakel mit kalter Aufmerksamkeit.
Plötzlich sah Gilly, wie einer von Taurics Häschern von einem gefiederten Pfeil in seinem Hals zu Boden geworfen wurde. Weitere Pfeile surrten heran und Schreie ertönten, als die Fackelträger fielen und dabei die Flammen erstickten. Der besessene Häuptling und der Schamane riefen Befehle in dem dämmrigen Licht, doch dann hörte Gilly hinter seinem Rücken den dumpfen Schlag. Er drehte sich um und sah, wie seine Wachen, von Pfeilen getroffen, sich im Todeskampf am Boden wanden. Sofort sprang er auf und wollte zu Tauric laufen, als Dutzende von flammenden Geschossen aus dem Himmel regneten. Die Krieger rannten voller Panik aus den Ruinen, mussten jedoch feststellen, dass ihre Pferde losgebunden und in wilde Aufruhr versetzt worden waren. Als die verängstigten Tiere zum nördlichen Hang des Kammes abschwenkten, zertrampelten sie einige Mogaun unter ihren Hufen.
Gilly rannte, wich dabei den brennenden Geschossen aus, die aus in Öl getränkten Grasbüscheln bestanden, und sah, wie der besessene Häuptling mit einem Speer auf Tauric zusprang. Zwei Männer mit Schwertern standen neben dem Jungen und lösten seine Fesseln. Als Tauric frei war, stürzte er sich zu Gillys Überraschung sofort auf den besessenen Clan-Häuptling. Geschickt schlug er den Speer beiseite, und versetzte Hegroun mit seiner
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