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01 - Schatten der Könige

01 - Schatten der Könige

Titel: 01 - Schatten der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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Wir greifen an. Das sollte ihnen etwas zum Singen geben!«

28
    Schmerz, Wahnsinn und Knochen -
Sind die Ernte dieses Verlieses.
    JURAD: Geschichte der Prüfungen, Buch 8, vi
    Frierend, blind und eingesperrt war Suviel kaum Hoffnung verblieben. Ihr Käfig war ein aufrecht stehender, deckelloser Sarg aus Eisen, in dem sie mit Bändern gehalten wurde. Sie wollte weinen, aber ihre Augen waren leer und trocken. Sie wollte schreien, aber sie war mit einem Bann belegt, und ihr Mund war ein verschlossenes Tor. Zwischen ihr und der niederschmetternden Verzweiflung stand nur der geborstene Schild ihres Verstandes.
    Trotz der pechschwarzen Finsternis in der Kammer versuchte sie unwillkürlich, ihre Umgebung zu erkennen. Vorhin hatte ihr drittes Auge ihr verraten, dass einige Akolythen unmittelbar nach ihrer Einkerkerung zurückgekehrt waren. In der sie umgebenden Dunkelheit schimmerten schwach Gesichtszüge, der Umriss eines Kiefers oder der Glanz eines Auges.
    »Wie stark«, hatte einer gemurmelt.
    »Wie fruchtbar«, hatte ein anderer lachend hinzugefügt.
    Dann war der Schleier des Nichts herabgesunken und hatte sich wieder gelüftet, wie ein langsames Zwinkern. Es schien nur Momente zu dauern, doch als er sich hob, sah sie, dass die Akolythen sich um eine blasse, mit einer Kapuze verhüllte Gestalt scharten und sie aus der Kammer führten. Das war erst vor kurzer Zeit geschehen, dessen war sich Suviel fast sicher. War die blasse Gestalt eine Leidensgefährtin gewesen? Sie konnte die Anwesenheit von noch etwa zehn weiteren schweigenden Mitgefangenen in dieser schwarzen Steingruft spüren. Sie erinnerte sich, wie der alte Babrel ihr die Geschichten der Kinder weitererzählt hatte, die in eisernen Käfigen gefangen gehalten wurden, welche mit Symbolen verziert waren, und auch an die schrecklichen Rituale, die man an ihnen vollzogen hatte. Suviel erschauerte, sowohl wegen der Kälte auf ihrer Haut, als auch der in ihrem Geist. Sie versuchte sich vorzustellen, Ikarno Mazaret wäre bei ihr, und suchte Zuflucht in der Erinnerung an seine warme Umarmung und die sanfte Leidenschaft seiner Küsse …
    Nach etwa einer Stunde kamen neue Besucher. Diesmal handelte es sich um Coireg Mazaret und drei andere Akolythen. Sie erkannte diesmal mehr Einzelheiten, sah die glühende Befriedigung auf Coiregs Gesicht, als er sich dicht vor ihr aufbaute und fühlte seinen säuerlichen Atem auf ihrer Wange. »Du wirst geben«, intonierte er. »Du wirst dienen.«
    Niemals, wollte sie rufen, doch sie konnte das Wort nur lautlos mit den Lippen formen. Coireg lachte. Es war ein hohes, feindseliges Lachen. »Mein Meister ist gierig, und er zerschmettert alles andere. In diesem Moment hält er die Stadt der Kaiser in seinem eisernen Griff. Einige der Nachtjäger werden aufsteigen, Wälder werden brennen, Festungen werden fallen, und ein großes Reich der Schatten wird erstehen. Du wirst es sehen, du wirst es preisen, und du wirst ihm dienen!« Sie vermochte nur stumm den Kopf zu schütteln und sich an die Erinnerung von Ikarno zu klammern, als das Nichts wieder über sie hereinbrach … und erneut verschwand. Wie zuvor sah sie, wie ihre Wärter eine blasse, beinahe durchsichtige Gestalt zum Eingang der Kammer führten. An der Tür drehte sich die weiße Gestalt um, und Suviel blickte in ihr eigenes Antlitz, dessen milchig-weiße Augen in dem durchscheinenden Gesicht auf sie gerichtet waren.
    Dann waren sie fort, und die pechschwarze Finsternis legte sich bleischwer auf sie. Ihre Gedanken und Gefühle wirbelten in einem Kreis des Entsetzens umher, und suchte verzweifelt nach einem Hoffnungsschimmer. Sie wollte sich an das erinnern, was ihren Verstand vor der Dunkelheit beschäftigt hatte. Es war etwas Kostbares gewesen, etwas unvergleichlich Schönes.
    Aber nichts tauchte auf. Das Bild befand sich jenseits aller Erinnerung und schien spurlos verschwunden.
    Bardow hörte den Kampflärm der Belagerung, während er mit seiner sechsköpfigen Eskorte eine lange, dunkle Treppe hinaufstieg, die zu den Befestigungen des Palastes führte. Normalerweise war diese Treppe hell erleuchtet, doch die meisten Diener hielten sich entweder versteckt oder waren aus dem Palast geflüchtet. Im Schein der Fackeln, die seine Leibwächter trugen, und den spärlichen Votivlampen der Wandschreine bemerkte er, dass die meisten Gemälde, die er vor Jahren hier noch gesehen hatte, verschwunden waren. Vermutlich dienten sie als Trophäen oder als Feuerholz. Es war verlockend, sich in

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