01 - Schatten der Könige
gespieltem Ernst. »Shin Hantika«, antwortete er mit einem schwachen Lächeln und sah sich rechts und links im Korridor um, bevor er sie an sich zog.
Suviel umarmte ihn, legte ihre Wange an die seine und genoss das Gefühl seiner breiten, verlässlichen Schultern unter dem Lederwams. Dann trat sie zurück und runzelte die Stirn.
»Stimmt etwas nicht?«
Mazaret seufzte. »Mein Vater ist tot. Er wurde in Casall vergiftet. Du hast soeben meinen Bruder gesehen … Er hat mir die Nachricht überbracht.«
»Dein Bruder Coireg? War er nicht für den Tod deiner Schwester …?«
»Ja. Ja, ich weiß. Aber er ist nicht mehr so, wie er war. Etwas in ihm hat sich verändert.« Er sah sie an. »Er ist der Letzte meiner Familie, Suviel. Ich muss versuchen, die Kluft zwischen uns zu überbrücken.«
Sie legte ihm sanft die Hand auf die Wange. »Es tut mir sehr Leid um deinen Vater«, sagte sie. Sie wollte mehr sagen, wusste jedoch, dass es unnötig war.
Er schwieg einen Moment. »Man hat nie genug Zeit, jemanden richtig kennen zu lernen, Suviel. Ich weiß nicht einmal, ob mein Vater zu schätzen gewusst hätte, was ich hier tue. Dabei haben wir uns seit dem Einfall der Mogaun mindestens zweimal im Jahr getroffen … Seit dem Tod meiner Mutter.« Er lachte. Es war ein kurzes, trockenes Lachen. »Sie hätte es gewiss gebilligt. Wir wussten immer, was sie über Recht und Unrecht dachte, denn sie sprach ihre Gedanken unverblümt aus …« Er holte tief Luft und schien sich zu sammeln. »Wie geht es Tauric?«
Suviel lächelte schwach. »Er trauert ebenfalls noch um seinen Vater. Um den Mann, den er als seinen Vater kannte. Wir haben die Frage seiner Abstammung noch nicht angesprochen. Das würden seinen Gram und seine Verwirrung nur vertiefen.«
Mazaret nickte traurig. »Ich bin dem Herzog von Patrein mehrmals begegnet. Er war ein guter Mann. Was ist mit dem Arm des Jungen?«
»Er kann nicht gerettet werden. Bardow und der Oberste Feldscher wollen ihn heute Abend unterhalb des Ellbogens amputieren.«
»Er ist noch jung. Er wird über diese … Verluste hinwegkommen.«
Suviel sah das zwar anders, widersprach jedoch nicht. »Was ist mit Coireg?«, fragte sie statt dessen. »Willst du ihn in den Orden aufnehmen?«
»Das will er nicht, und außerdem würde ihm die Disziplin dort nicht schmecken. Nein, aber es gibt einen anderen Weg, wie er uns helfen kann. Und sich selbst.«
Mehr wollte Mazaret nicht sagen, als sie zum Arbeitszimmer der Äbtissin gingen, wo der Kriegsrat stattfand. Die Äbtissin Halimer vom Orden der Erden Mutter wartete bereits, als sie hineingeführt wurden. Halimer war eine ältere, zierliche Frau, die eine blassblaue Soutane trug. Neben ihr stand Cheil Bardow, Erzmagier der Macht der Wurzel. Er wirkte liebenswürdig und unauffällig in seiner braungrauen Stadtkleidung. Bardow erhob sich von dem großen, ovalen Tisch und begrüßte die beiden.
»Mein Lordkommandeur. Trifft der Tag Euch wohl an?«
»Wohl genug, Erzmagier. Obwohl es mich traurig stimmt, zu hören, dass Euer Patient einen Arm verliert.«
»Einige verlieren erheblich mehr, Mylord.«
»Wohl wahr«, erwiderte Mazaret steif und sah sich um. »Wie ich sehe, ist Hauptmann Volyn noch nicht anwesend.«
»Er wurde bedauerlicherweise von dringenden administrativen Problemen aufgehalten, Mylord«, erklärte Äbtissin Halimer mit einem Hauch von Ironie in der Stimme. »Sein Bote hat mir jedoch versichert, dass er uns nicht allzu lange warten lässt.«
»Sehr gut. In der Zwischenzeit, Äbtissin, könnt Ihr mir sagen, wie es um unsere Getreidevorräte steht. Ich nehme an, dass Ihr bereits mit dem unvergleichlichen Gilly gesprochen habt…« Während Mazaret und Halimer sich in eine Diskussion vertieften, trat Bardow neben Suviel. »Ikarno scheint mir im Moment ein wenig freudlos«, sagte er.
Suviel informierte ihn über den Tod von Mazarets Vater und der Anwesenheit seines Bruders. Der Erzmagier wurde ernst.
»Das sind beunruhigende Neuigkeiten.« Er runzelte die Stirn. »Sein Bruder, dieser Coireg, hat eine eher fragwürdige Vergangenheit.«
»Das hat mir Ikarno auch gesagt«, pflichtete Suviel ihm bei. »Aber er glaubt, Coireg habe sich verändert. Er will ihm sogar eine Aufgabe übertragen. Mehr wollte er nicht verraten.« Bardow zuckte mit den Schultern. »Ich sehe vielleicht Gespenster, aber ist es nicht ein merkwürdiger Zufall, dass diese Nachricht nur Stunden später hier eintraf, nachdem du mit dem verschollenen Erben des Kaiserthrones
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