01 - Schatten der Könige
er. Und Kodel scheint ihm zugetan zu sein, was ebenfalls nicht schaden konnte.
Bardow hielt inne und warf einen prüfenden Blick auf die Bindung, um sich davon zu überzeugen, dass der Bann noch hielt. Der Gesang kreiste nach wie vor gleichförmig in seinem Verstand, obwohl der zusammengesetzte Zauber früher oder später unausweichlich zerbrechen würde. Bis dahin musste er sich wieder in seinem Körper befinden. Er hatte nicht vor, auf ewig zwischen den Gesängen gefangen zu bleiben.
Suviel Hantika, dachte er klar und deutlich.
Es wurde schwarz, und der Geflügelte Geist flog durch eine gähnende, schwarze Leere. Er folgte zielstrebig und unbeirrt seinem Weg, während Bardows Wesen von einer eisigen Kälte umklammert wurde, die ihn in seinen eigenen Ängsten und Unsicherheiten zu ertränken suchte. Doch der Magier entfachte die Glut der Gedanken an all jene, die er liebte, seien es Menschen oder Orte, vergangene und gegenwärtige, und ertrug die Kälte. Schon bald wich die Finsternis strahlendem Sonnenlicht über Bergen, die er nicht erkannte. Der Geflügelte Geist trug ihn nach Norden. Er flog so tief, dass Bardow die kleinen weißen Bergziegen erkennen konnte, die auf verschneiten Hängen nach Gras und Wurzeln suchten. Dann wichen die Abhänge einem kurzen Streifen flacher Ebene, die zu einer uralten, zerstörten Zitadelle führte.
Bardow erkannte Alvergost sofort. Rauchfahnen erhoben sich aus einem von Menschen überlaufenen Meer von Zelten. Bestürzt begriff er, dass es sich um Flüchtlinge handeln musste. Während er weiter schwebte, fiel sein Blick auf einen Aufruhr am Fuß der großen Festung. Im nächsten Moment trug ihn jedoch der Geflügelte Geist darüber hinweg und flog über die Berge.
Sie sanken zu einem öden, schmalen Pass hinab, und der Geflügelte Geist wurde langsamer. Der Pass senkte sich ab und erweiterte sich zu einer Stelle, an der ein natürliches Wasserbecken einigen dürren Büschen und Bäumen Nahrung spendete. Mehr als ein Dutzend Reiter sprengten scheinbar ziellos umher. Der Geflügelte Geist wollte Bardow wieder in die Zwischenwelt ziehen, doch der Erzmagier gebot ihm Einhalt.
Aus der Luft beobachtete er die Reiter. Einige trugen Kettenhemden oder Harnische, andere nur wattierte Lederrüstungen, aber sie alle hatten Helme auf ihren Köpfen, die ihre Gesichter verbargen. Bardow erkannte in ihnen Diener der Akolythen, die für ihre Fähigkeit berüchtigt waren, die Spur ihrer Beute selbst durch widrigstes Gelände zu verfolgen. Doch diese hier schienen ihre Suche nicht fortsetzen zu können. Falls sie Suviel und den anderen nachgejagt waren, war die Frage, wo die Magierin und ihre Begleiter sich nun befanden?
Suviel Hantika, dachte Bardow. Suche sie.
Erneut versank er in der Schwärze der Leere, deren tödliche Kälte noch eisiger zu sein schien als zuvor. Das war ein sicheres Zeichen dafür, dass die Bindung nachließ. Gleichzeitig schien der Geflügelte Geist unsicher, wohin er sich wenden musste. Berge huschten wie im dichten Nebel an ihm vorüber, der nur gelegentlich aufriss und Blicke auf andere Orte gewährte, auf ein rotes Chaos aus zerschmetterten, karmesinfarbigen Felsen, einen nebligen grünen Dschungel und eine sonnenverbrannte Ebene. Instinktiv begriff Bardow, dass er Ausschnitte aus den Reichen sah, den Regionen der Urkräfte, der Heimat von Geistern und Wesen, die sowohl bösartig als auch gütig sein konnten. Er erinnerte sich daran, wie er sich dem Ritus der Mäßigung in einem Bergschrein über Trevada unterzogen hatte, und an die ekstatische Vision, die ihn wie eine dem Sturm ausgelieferte Feder durch das Reich des Vater Baumes geschleudert hatte. Dieser Ort hatte von Leben vibriert. Scharen unbeschreiblicher Kreaturen hatten ihn auf seiner Reise getragen oder geführt, ganze Herden von Tieren hatten in einer Stimme mit ihm geredet, und ein majestätischer, erhabener Baum, nur einer des unendlichen Waldes, hatte mit vielen Stimmen zu ihm gesprochen. Er war als ein wahrer Magier aus diesem Ritus hervorgegangen, und sein Herz, sein Verstand und seine Seele waren für immer von der Macht der Wurzel gezeichnet.
Es war nunmehr eine hilflose Macht, ein leerer Thron. Und es hinterließ ein bitteres Gefühl von einem großen Verlust in seinem Inneren, dass diese flüchtigen Blicke auf die Reiche das Einzige war, was die Niedere Macht ihm je zu bieten imstande sein würde. Diese Wunde würde niemals heilen. Immer noch schwankte der Geflügelte Geist zwischen
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