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01 - Schatten der Könige

01 - Schatten der Könige

Titel: 01 - Schatten der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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gehört, womit die Akolythen nach der Zerstörung der Macht der Wurzel die Stadt heimgesucht hatten. Falls Suviel überlebte und mit dem Kristallauge zurückkehrte, würde er endlich erfahren, was, wenn überhaupt etwas, von dem geliebten Ort seiner Jugend übrig geblieben war.
    Der helle Gesang von Kinderstimmen schallte zu ihm hinauf. Er senkte den Blick und sah eine kleine Gruppe von sechs- oder siebenjährigen Mädchen und Jungen, die neben einem blühenden Catyrbusch saßen. Ein Junge sang kichernd den alten Kindervers vom Schwein und der Taube. Als er geendet hatte, standen zwei blonde Mädchen mit langen Zöpfen auf, klatschten in die Hände und sangen. Ein kleiner Keim wird zu einem Trieb, Ein kleiner Trieb wird zu einem Zweig, Ein kleiner Zweig wird zu einem Blatt, Ein kleines Blatt wird zu einem Strauch, Ein kleiner Strauch wird zu einem Baum, Ein kleiner Baum wird groß und stark.
    Während sie sangen, bildeten sie die Worte mit den Händen nach und endeten, indem sie ihre Hände hoch über den Kopf hoben und glücklich lächelten. Bardow sah ihnen zu und lauschte, und ihm traten Tränen in die Augen. Obwohl es ein einfaches Kinderlied war, enthielt es in einer sehr gekürzten Form alle Hauptelemente des Großen Ritus des Vater Baumes, der zweimal abgehalten wurde; einmal im Hochsommer, und einmal mitten im Winter.
    Jetzt leben wir alle im Winter, dachte er düster. Dennoch besitzen unsere Kinder noch den Glauben, den wir längst verloren haben. Ihre Unschuld schützt sie vor der Wahrheit.
    Hinter ihm klopfte jemand an die Tür.
    »Ich bin beschäftigt!«, rief er, ohne sich umzusehen.
    »Nein, seid Ihr nicht«, erwiderte eine Frauenstimme.
    Er drehte sich um und starrte auf die geschlossene Tür. »Ich arbeite konzentriert an etwas von großer Bedeutung.«
    »Der junge Jeffi behauptet etwas anderes«, antwortete die Frau von der anderen Seite. »Er meint, Ihr sitzt am Fenster und sprecht mit den Vögeln.«
    »Die Mutter bewahre mich!«, knurrte er, trat an den Tisch und versteckte den schwebenden Zauber hinter einem großen Buch, das er davor stellte. Dann ging er zur Tür, entriegelte sie und kehrte ans Fenster zurück. »Nur herein!«, rief er.
    Eine hübsche junge Frau kam mit einem Tablett in der Hand herein, das mit verschiedenen Schüsseln, einem Trinkbecher und einem Krug beladen war. Sie lächelte strahlend, als sie es zu ihm brachte und es auf dem Fenstersims absetzte. Dann sah sie ihn erwartungsvoll an.
    »Ich habe schon gegessen.«
    »Das stimmt, Shin Bardow, aber Brot und Käse sind für jemanden in Eurer Position und mit der Verantwortung, die Ihr tragt, nicht genug.«
    Fionns hüftlanges rotes Haar fiel über ihren gelben Schal und das schlichte braune Kleid. Manchmal diente sie Guldamar als Assistentin, aber in ihrer freien Zeit schien sie es sich in den Kopf gesetzt zu haben, für Bardows tägliche Bedürfnisse zu sorgen. Sie brachte ihm Essen oder ließ seine Kleidung waschen und flicken. Bardow vermutete stark, dass Suviel irgendwie hinter ihren Bemühungen steckte.
    Während Bardow vom Inhalt einiger Schüsseln kostete - gekochtes Gemüse, ein Salat mit Nüssen und heiße Pasteten -, trat Fionn ans Fenster. Bardow hörte, wie einige der Kinder ihren Namen riefen und sah, wie sie hinunterwinkte.
    »Bedankst dich wohl bei deinen kleinen Spionen, hm?«
    Sie sah sich zu ihm um und hob missbilligend die Augenbrauen. »Ich nenne sie meine kleinen Ritter. Ich gebe ihnen kleine Aufgaben, wie zum Beispiel die Wege zu fegen oder die Beete zu säubern, und lehre sie dann einige der Lieder, die ich in ihrem Alter gesungen habe.« Sie hielt inne. »Bis ich damit angefangen habe, war mir gar nicht klar, wie bedeutend die Rolle war, die der Glaube an die Macht der Wurzel schon in meiner Kindheit gespielt hat.«
    »Wie alt warst du, als der Vater Baum zerstört wurde?«
    »Gerade sieben«, erwiderte sie. »Mutter hat tagelang geweint, und Vater hat kein Wort gesagt. Unsere Dorfpriester haben uns verlassen, um den Tempel in Adnagaur zu verteidigen. Nachdem alle Priester gefallen waren, gab es niemanden mehr, der die alten Riten durchführte und die Gebete sprach, oder die Kinder lehrte, all die kleinen Pflichten auszuführen, welche die Dorfgemeinschaft zusammenhielten. Uns blieb nur noch, zu lernen, wie man überlebt.
    Als Guldamar mich vor einem Jahr hierher gebracht hat, studierte ich immer noch die Kräfte der Niederen Macht. Shin Hantika hat mich bei ihrem vorletzten Besuch mit den Kindern

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