01 - Tage der Sehnsucht
Sir«,
sagte der Butler. »Ich will nur noch diese Leute hinunterbegleiten.«
Die Reisenden
schlurften durch die Halle und blickten ehrfurchtsvoll um sich, mit Ausnahme
von Fiona, die ihre Umgebung nicht zu bemerken schien. Sie zog die Kapuze ihres
Mantels zurück und schüttelte ihr Haar.
»Beim heiligen
Georg«, murmelte Mr. Pardon.
Ein unbestimmtes
Gefühl veranlasste Mr. Sinclair, Fionas Arm zu nehmen.
Die lässige Haltung
von Mr. Pardon war wie weggeblasen. Er trat vor und schnitt Mr. Sinclair und
Fiona den Weg ab. »Ich bitte vielmals um Verzeihung«, sagte er geschmeidig.
»Ich habe nicht bemerkt, dass zu der Gesellschaft ein Herr gehört.
Erlauben Sie mir, mich vorzustellen. Mein Name ist Pardon, Percival Pardon.«
»Roderick
Sinclair«, sagte Mr. Sinclair und machte eine unbeholfene Verbeugung.
»Und diese Dame?«
fragte Mr. Pardon und lächelte Fiona an.
Ehe Mr. Sinclair
sprechen konnte, sagte Fiona: »Ich bin Fiona Sinclair, Mr. Sinclairs Tochter.«
Drittes Kapitel
Mr. Sinclair zwinkerte überrascht und
fragte sich, warum Fiona nicht gesagt hatte, dass sie sein Mündel sei. Er kam
aber schnell zu dem Schluss, dass sie sich eben einfältig wie immer verhalten
habe.
»Entzückend«,
meinte Mr. Pardon. Seine blassen Augen starrten Fionas Gesicht und Figur auf
eine Art an, die Mr. Sinclair unangenehm berührte. »Natürlich müssen Sie mir
zum Dinner Gesellschaft leisten.« Mr. Pardon schnippte mit den Fingern. »James«,
sagte er zu einem großen Lakaien, »sagen Sie Mrs. Anderson, sie soll das gelbe
Zimmer und das blaue Zimmer für Mr. und Miß Sinclair herrichten lassen und das
Dinner um eine halbe Stunde verschieben.«
»Wir fühlen uns
geehrt, Sir«, sagte Mr. Sinclair, der sich immer noch möglichst eng bei Fiona
hielt. »Aber ich fürchte, wir machen Ihnen zu viel Umstände.«
»Unsinn, mein
lieber Sinclair. Sie sind übrigens nicht meine einzigen unerwarteten Gäste. Der
Earl of Harrington ist auch hereingeplatzt. Er reiste auch nach dem Süden, als
der Sturm losbrach.«
Mr. Sinclair hätte
am liebsten gesagt, er fühle sich bei den anderen Reisenden in der Küche ganz
wohl. Aber die Haushälterin war erschienen und wartete augenscheinlich darauf,
sie nach oben zu führen. Er konnte sich daher nur noch verbeugen, Mr. Pardon
danken und im übrigen den Vorsatz fassen, Fiona zu warnen, in der Hoffnung, dass
sie wenigstens ein Zehntel von dem beherzigte, was er sagen würde.
Das Haus war reich
mit Teppichen ausgelegt. Ziergegenstände und Statuen schimmerten im sanften
Licht der Öllampen. Fiona erhielt das gelbe Zimmer, das unmittelbar neben dem
blauen gelegen war. Ein Lakai stellte ihr dürftiges Gepäck auf den Boden und
sagte, er werde ein Dienstmädchen schicken, das ihnen beim Auspacken helfen
werde.
»Nicht notwendig«,
sagte Mr. Sinclair hastig. Er wandte sich der Haushälterin zu. »Wenn Sie uns
entschuldigen wollen, Gnädigste. Ich möchte mich mit meinem Mün ... meiner
Tochter kurz unterhalten.«
Die Haushälterin
und der Lakai verließen den Raum.
»Setz dich, Fiona«,
sagte Mr. Sinclair. »Es wird Zeit, dass wir miteinander sprechen.«
Fiona zog ihren
Mantel aus und nahm am Kamin Platz. Es war sehr warm im Zimmer. Ein großes
modernes Bett, dessen Bettpfosten verkleidet waren und einen kunstvoll
geschwungenen Baldachin trugen, bildete den Blickfang des Raumes. Vor dem
Fenster hingen schwere Vorhänge aus gelber Seide. Rechts vom Kamin, dessen
Verkleidung aus Marmor bestand, erhob sich ein hoher Schlafzimmerschrank aus
Mahagoni. Auf einem Tisch aus Zitronenholz mit abgeklapptem Seitenteil stand eine
Schale voll Rosenblätter, die ihren köstlichen Sommerduft im stillen Raum
verströmten.
»Also«, sagte Mr.
Sinclair, »warum hast du dich als meine Tochter ausgegeben?«
»Ich hielt es für
passender«, sagte Fiona nach einer Pause.
»Nun, das stimmt,
das stimmt. Mir ist gar nicht der Gedanke gekommen, dass sich die Leute fragen
könnten, warum du als mein Mündel nicht von einer Anstandsdame begleitet wirst.
In der Nähe eines Mannes wie Pardon ist es in jedem Fall gut, sich an die Anstandsregeln
zu halten. Sorge ja dafür, dass er dich nicht allein antrifft!«
Fiona nickte.
»Wie ist dein
wirklicher Name, Fiona? Ich nehme an, mein Bruder hat dir seinen Namen
gegeben.«
»Ja, meinen
wirklichen Namen kenne ich nicht. Das Waisenhaus nannte mich Fiona Ross, weil
mich ein Mr. Ross gefunden hat.«
»Wo gefunden hat?«
»Vor St. Giles.«
»Dann hättest du
eigentlich ins
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