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01 - Tage der Sehnsucht

01 - Tage der Sehnsucht

Titel: 01 - Tage der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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Ich sehe
schon, je eher ich Miß Fiona in die Falle locke, umso besser. Ich gehe morgen
bei ihr vorbei, und wenn ich nichts erreiche, werde ich Sie um Hilfe bitten.«

    »Miß Sinclair!« sagte Rainbird und stand
auf.
    »Was für eine
hübsche Gesindestube!« meinte Fiona leichthin. »Ist das Ihr Abendessen?«
    Auf dem Tisch lagen
ein alter Laib Brot und ein Stück Käse.
    »Ja, gnädiges
Fräulein«, erwiderte Rainbird mit einer gewissen Schärfe. »Das ist alles, was
wir uns leisten können.« Dann dachte er schuldbewusst an die Trinkgelder, die
sie bekommen hatten.
    »Sie kenne ich
bereits, Mr. Rainbird«, sagte Fiona. »Und das ist Alice, und Sie sind Jenny.
Aber wer ist das?« Sie blickte zum Ende des Tisches hin, wo Lizzie saß.
    »Lizzie O'Brian«,
antwortete die Angesprochene und machte einen ungeschickten Knicks.
    Fiona betrachtete
Lizzies fleckige Haut und ihr strähniges Haar. »Sie müssen viel Gemüse essen,
Lizzie. Es wird Ihrem Haar Glanz verleihen und Ihre Haut entschlacken. Rohes Gemüse.«
    »Wie ein
Kaninchen«, kicherte Dave, der Küchenjunge, wurde aber von Alice zum Schweigen
gebracht.
    MacGregor ging auf
Fiona zu. Seine roten Haarbüschel quollen unter seiner weißen Mütze hervor.
»Gemüse also?« fragte er aufgebracht. »Für eine kleine Küchenmagd, wenn wir
keinen Bissen zu essen haben?«
    »Halte dich zurück,
denn ein Bursche wie du begreift das nicht«, spottete Joseph.
    »Ruhe«, schrie
Rainbird, entsetzt über so viel Aufsässigkeit. »Sie gehören nach oben, gnädiges
Fräulein.« Er schritt zur Tür und hielt sie auf.
    »Ich bin Ihnen
nicht böse«, erwiderte Fiona mit großen Augen. »Ich weiß, dass durch zu wenig
Essen eine gereizte Stimmung entsteht. Sobald ich kann, werde ich Ihnen Geld
für Essen, Kleidung und Heizung geben.« Sie ging ruhig aus der Stube und schloss
die Tür hinter sich.
    Die Diener sahen
reichlich beschämt drein. Ihr ganzer Zorn richtete sich eigentlich gegen Mr.
Sinclair. Sie spürten, dass Fiona ein so schlechtes Benehmen nicht verdient
hatte.
    »Glaubt ihr, es ist
ihr ernst damit?« fragte Lizzie schüchtern. »Ich meine, dass sie uns Geld geben
will?«
    »Sicher nicht«,
sagte Joseph. »Ich habe mit ihr Besorgungen gemacht. Einfältig ist sie, wenn
ihr mich fragt. Hüllte sich ganz in diesen Mantel ein, vermummt von Kopf bis
Fuß, und sagte kein einziges Wort zu mir.«
    »Ich fürchte, Miß
Fiona ist ziemlich naiv, Lizzie«, meinte Mrs. Middleton. »Denk nicht mehr dran!
Morgen essen wir Roastbeef. Stellen wir das Menü zusammen!«
    Lizzie, die in
einem provisorischen Bett in der Spülküche schlief, schloss an diesem Abend
Fiona in ihr Gebet ein. Im Gegensatz zu den anderen verehrte sie Fiona. ja, sie
vergötterte sie geradezu. Sie glaubte alles, was Fiona über Geld, Kleidung und
Essen zu ihnen gesagt hatte. Sie beschloss, auf ihren Anteil am Roastbeef zu
verzichten und MacGregor zu fragen, ob sie etwas Gemüse haben könnte.
    Um fünf Uhr früh
stand sie auf, denn es gehörte zu ihren Pflichten, den anderen Dienstboten den
Frühstückstee zu servieren. Neben dem Abflussbecken lag ein kleines Päckchen.
Lizzie konnte kaum lesen, erkannte aber ihren Namen darauf, der in sauberen
Druckbuchstaben geschrieben war. Sie hielt ihre zitternden Hände vor den Mund.
Denn sie glaubte, eine gute Fee sei über Nacht dagewesen. Schließlich
bekreuzigte sie sich und öffnete das kleine Päckchen.
    Ein langes
kirschrotes Seidenband lag darin. Lizzie dachte, es sei das Schönste, was sie
je gesehen habe. Auf einem kleinen beigefügten Zettel stand ein einziger Satz.
Irgendwie traute sie sich nicht, Rainbird zu bitten, er möge ihn ihr vorlesen.
Auch scheute sie davor zurück, einem der anderen von ihrem Geschenk zu
erzählen. Sie wollte nicht, dass man sie auslachte oder ihr vielleicht sogar
das Band wegnahm.
    Sobald sich während
der Arbeit eine Pause ergab, holte sie den Zettel hervor und versuchte mühsam,
jedes einzelne Wort zu entziffern, bis sie es am Abend schließlich geschafft
hatte. Der Satz lautete schlicht: »Zum Hochbinden fürs Haar. Fiona Sinclair.«
    Eine warme
Empfindung durchströmte Lizzies mageren Körper. Selbst als MacGregor einen
Teller mit rohem Gemüse vor ihr auf den Tisch stellte und ein höhnisches
Gemeckere von sich gab, war es ihr weiter so warm ums Herz. Die anderen aßen
Roastbeef, während ein Stockwerk höher Mr. Sinclair und Fiona mit einem dicken
Stück Rindfleisch, zäh wie Leder, kämpften.
    Aber Mr. Sinclair
war sehr zufrieden.

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