01 - Tage der Sehnsucht
Damen
verfügten über ein beträchtliches Vermögen und verloren oft mehrere tausend Pfund
an einem Abend, ohne mit der Wimper zu zucken.
Aber auch sie
konnte Lady Disher nicht um Hilfe bitten. Denn wenn es erst zu einer
Unterhaltung kam, würde Fiona vielleicht den beiden Damen voller Arglosigkeit
von den gezinkten Karten erzählen. Es gab nur eine Person, an die sie sich
wenden konnte; sagte sich Lady Disher.
Nach allen Seiten
lächelnd ging Fiona in Begleitung von Lady Disher hinaus. Joseph, der es sich
in einem Sessel in der Halle bequem gemacht hatte, sprang eilig auf.
»Auf Wiedersehen,
Miß Sinclair«, sagte Lady Disher. »Sie müssen bald wiederkommen und uns
Gelegenheit zur Revanche geben.«
»Natürlich«,
entgegnete Fiona. »Haben Sie Dank für den äußerst angenehmen und lohnenden
Nachmittag! Oh, das Gebäck, das Sie mir versprochen haben ...«
Lady Disher
unterdrückte eine wenig damenhafte Erwiderung, die ihr schon auf den Lippen
lag. »Ich werde selbst in die Küche gehen und dafür sorgen, dass es eingepackt
wird«, krächzte sie statt dessen.
Von der Küche ging
sie direkt zur Speisekammer, wo sie ihren Butler Seamus O'Flaherty beim Kosten
des Portweins überraschte. »Seamus«, fauchte sie. Sie zog es vor, ihren Butler
beim Vornamen zu nennen, weil sie »0'Flaherty« als Zungenbrecher empfand.
Außerdem war sie der Ansicht, dass Dienstboten wie Schäferhunde parieren und
daher auch kurze Namen haben sollten, damit man sie schneller herbeirufen
konnte. »Seamus, eine gewisse Miß Sinclair ist gerade im Gehen. Sie hat mir
eine große Geldsumme abgewonnen. Ihr Begleiter ist nur ein Lakai. Auf dem
Küchentisch steht ein Korb mit Kleingebäck und Sandwiches für sie. Folge mir
mit dem Korb nach oben und geh dann Miß Sinclair nach! Bevor sie daheim anlangt
- sie wohnt in der Clarges Street unweit der Piccadilly Street -,
entreißt du ihr das Handtäschchen und bringst es hierher.«
Seamus nickte. Er
war klein, aber drahtig und zäh und hatte Lady Disher diese Art Dienste schon
früher geleistet.
Lady Dishers Haus lag am Manchester Square.
Joseph hatte erwartet, Fiona würde denselben Weg zurückgehen, den sie gekommen
waren, das heißt, sie würde die Oxford Street zur North Audley Street
überqueren, dann über den Grosvenor Square die South Audley Street
hinuntergehen und so durch die Curzon Street in die Clarges Street gelangen. Zu
seiner Überraschung wandte sie sich in der Oxford Street jedoch nach links und
damit in östliche Richtung.
»Entschuldigen Sie,
gnädiges Fräulein«, sagte Joseph. »Ich hoffe, Sie haben nicht vor, die New Bond
Street hinunterzugehen. Das ist keine Gegend für eine Dame.«
»Nein, Joseph«,
erklärte Fiona. »Ich möchte nur gern den Hanover Square sehen.«
Joseph murmelte
einen Fluch. Er trug Schuhe, die zwei Nummern zu klein waren, damit seine Füße
besonders klein und vornehm aussähen. Aber seine vornehmen Füße zwickten und
brannten, und er wollte nach Hause und sie in einer Schüssel voll Wasser
einweichen.
Sobald sie auf dem
Hanover Square waren, blieb Fiona stehen und sah sich um. »Welches ist das
Stadthaus des Earl of Harrington, Joseph?« fragte sie.
»Das dort drüben,
Nummer neunzehn«, erwiderte Joseph, der die Adresse jedes Aristokraten im
Westend kannte. Fiona war von Lady Disher beim Tee gefragt worden, ob sie schon
im Stadthaus des Earl am Hanover Square gewesen sei. Sie hatte den Kopf
geschüttelt, aber sich den Namen des Platzes gemerkt.
Nun stand sie am
Rand der Gartenanlage in der Mitte des Platzes unter einem Fliederbusch und
betrachtete voll Interesse das Haus. Joseph unterdrückte ein Stöhnen, während
er einen seiner gemarterten Füße aus dem engen Schuh zog. Schließlich wandte Fiona
ihren Blick zu den prachtvollen Fliederblüten über sich empor.
In dieser Stellung
entdeckte sie der Earl of Harrington, der gerade aus seinem Klub in St. James
nach Hause spazierte. Er blieb wie angewurzelt stehen, bezaubert von dem Bild,
das sich ihm bot. Im ersten Augenblick erkannte er Fiona gar nicht, sondern sah
nur ein schönes Mädchen, das unter einem Fliederbusch stand, so reglos wie die
stille Blütenpracht über ihrem Kopf.
Doch dann wußte er
plötzlich, wen er vor sich hatte, und seine Lippen verzogen sich zu einem
süffisanten Lächeln. Aha! Nun hatte sich also auch Miß Sinclair den Reihen von
Frauen angeschlossen, die jeden billigen Trick anwandten, um seine
Aufmerksamkeit zu erregen. Er war schon im Begriff, sich
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