01 - Tage der Sehnsucht
Kartenspiel gewonnen.«
»Wo?«
»Bei Lady Disher.«
»Hat Sie denn
niemand vor Lady Disher gewarnt? Ich habe gehört, dass sie die Mitspieler
betrügt. Sie markiert die Karten.«
Fiona blickte
überrascht drein. »Darf man die Karten denn nicht markieren?«
»Natürlich nicht.«
»Oh! Bei den ersten
Spielen waren die Karten durch kleine Nadelstiche gekennzeichnet. Ich machte
Lady Disher darauf aufmerksam, die darüber äußerst empört war, weil sie dachte,
die Diener hätten die Nadelstiche angebracht. Aber als sie ein neues Päckchen
Karten kommen ließ, wußte ich einfach nicht mehr, welches die Asse waren. So
habe ich sie selbst markiert.«
»Wie? Das haben Sie
getan?« fragte der Earl und unterdrückte einen Lachanfall.
»Meine Hände waren
von all dem Gebäck, das ich gegessen hatte, ein bisschen klebrig. So habe ich
ein paar Krümel an den oberen Rand jedes Asses geklebt.«
»Das ist Betrug!«
»Wie bedauerlich«,
sagte Fiona.
»Sind Sie wirklich
so naiv, wie Sie sich geben, Miß Sinclair? Manchmal habe ich das Gefühl, Sie
wissen ganz genau, was Sie tun.«
Fiona lächelte ihn
an, sagte aber nichts.
»Miß Sinclair, was
haben Sie eigentlich auf dem Hanover Square gemacht? Hofften Sie, mich zu
sehen?«
Ihre großen grauen
Augen, die von dichten schwarzen Wimpern umsäumt waren, sahen den Earl mit dem
offenen, klaren Blick eines Kindes an. »Ich habe keinerlei Grund, Sie
aufzusuchen«, erwiderte sie. »Warum sollte ich?«
»Ich bin an Damen
gewöhnt, die auf alle erdenkliche Weise versuchen, meine Aufmerksamkeit zu
erregen, Miß Sinclair.«
»Wie merkwürdig«,
meinte Fiona und unterdrückte ein Gähnen. »Ich hoffe, Joseph bleibt nicht zu
lange fort.«
»Es tut mir leid, dass
meine Gesellschaft Sie ermüdet.«
Der Butler brachte
ein Tablett mit Kuchen, anderem Gebäck und Wein herein. Fiona ließ sich ein
Glas Madeira geben, schloss aber die Augen beim Anblick der Backwaren. »Nein,
nicht noch mehr«, sagte sie leise. »Ich habe heute nachmittag zu viel davon gegessen.«
Das Gespräch
verstummte. Fiona nippte an ihrem Wein, während der Earl sie eingehend
betrachtete. Die Sonne stand jetzt tiefer am Himmel, und ein goldener Strahl,
in dem unzählige Stäubchen tanzten, fiel durch die Scheiben. Er tauchte Fiona
ganz in goldenes Licht und ließ das Kristallglas, das sie in der Hand hielt, in
den bunten Farben des Regenbogens funkeln.
Fiona hatte etwas
Nachgiebiges an sich, etwas Weiches und Weibliches, bei dessen Anblick sich
Lord Harringtons Puls beschleunigte. Ihre Haut war unglaublich rein, und jede
Bewegung, die sie machte, verriet eine natürliche Grazie. Unter den Rüschen
ihres Kleides schauten kleine goldene Seidenpumps hervor. Er überlegte, wie
wohl ihre Knöchel aussähen. Er fragte sich ...
Dann gab er sich
einen Ruck und richtete sich gerade auf. »Und was haben Sie für einen Eindruck
von London?« wollte er wissen.
»Vermutlich meinen
Sie meinen Eindruck von der Gesellschaft«, erwiderte Fiona. »Ich weiß es
wirklich nicht. Es ist alles so verwirrend. So weit entfernt von der Realität.«
»In welcher
Beziehung?«
»Die Regierung
wurde im April gestürzt, der Sklavenhandel abgeschafft, Napoleon beherrscht den
größten Teil von Europa und will England erobern oder aushungern. Und doch
scheint hier keines dieser Ereignisse irgend jemanden ernsthaft zu beunruhigen
oder auch nur in Erstaunen zu versetzen. Die Herren schließen über alles und
jedes Wetten ab, und die Damen versuchen, mit allen Mitteln den Namen meines
Schneiders herauszufinden.«
»In der feinen
Gesellschaft von Schottland spricht man also über die weltgeschichtlichen
Ereignisse«, meinte der Earl sarkastisch.
»Worüber man in der
feinen Gesellschaft Schottlands redet, weiß ich nicht. Aber selbst im
Waisenhaus hat das Personal über Staat und Politik diskutiert.«
»Im ...?«
»Oh, ich höre
Joseph. Da kann ich ja jetzt gehen«, entgegnete Fiona sichtlich erleichtert.
»Haben Sie Dank für Ihre Gastfreundschaft, Mylord, und Ihren ritterlichen
Versuch, den Übeltäter einzufangen. Guten Tag.«
Nie zuvor war der
Earl so zornig gewesen und zugleich so niedergeschlagen. Obgleich er sich
überzeugt hatte, dass das Interesse der Frauen an ihm ausschließlich seinem
Vermögen galt, so fiel es ihm doch schwer, sich in diesem Glauben durch die
schöne Miß Sinclair bestätigt zu sehen. Anscheinend hatte auch sie von ihm als
Mann keinerlei Notiz genommen, nicht einmal sein Reichtum hatte sie
beeindrucken
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