01 - Tage der Sehnsucht
bisher strähniges, fettes Haar zeigte nun einen sanften
braunen Glanz und wurde im Nacken von einem flotten kirschfarbenen Seidenband
zusammengehalten.
»Woher hast du
dieses Band, Lizzie?« wollte Rainbird wissen.
»Von Miß Fiona«,
sagte Lizzie.
»Nun gut«,
erwiderte Rainbird langsam. »Dein Haar sieht auch anders aus.«
»Ich habe es unter
der Pumpe in der Spülküche gewaschen«, erwiderte Lizzie.
»Was?«
Das gesamte
Personal starrte sie entsetzt an.
»Lizzie, Lizzie, Lizzie«,
äußerte Mrs. Middleton besorgt. »Mach so etwas Törichtes nie wieder. Es genügt
völlig, sein Haar regelmäßig zu kämmen und es hin und wieder mit Haarkleie oder
Elfenbeinpulver zu reinigen.«
»Das ist richtig,
Lizzie«, pflichtete Rainbird mit ernster Miene bei. »Das häufige Baden des
übrigen Körpers mag ja zulässig sein, und neben dem Wasser kann sogar ein wenig
Seife verwendet werden. Aber sich den Kopf zu waschen ist absolut verboten. Das
ist eine schlimme Unsitte, die zu Kopfweh, Ohrenweh, Zahnweh und Beschwerden an
den Augen führt. Denn auch wenn du dich noch so sehr anstrengst, es ist
unmöglich, die Haare an der Wurzel wirklich trocken zu kriegen. Das Hirn ist
dadurch ständig feucht, und du kannst dir selbst vorstellen, dass diese
Feuchtigkeit irgendwo hinaus muss, woher dann tränende Augen, laufende Nasen,
eitrige Ohren und das häufige Anschwellen des Zahnfleisches rühren.«
»Wie könnte ich mir
Elfenbeinpulver leisten?« fragte Lizzie. »Miß Fiona hält auch ihr Haar sauber,
indem sie es regelmäßig wäscht.«
Sofort wünschte
Lizzie, sie hätte das nicht gesagt.
»Miß Fiona«,
erklärte Rainbird mit dem Ausdruck tiefster Verachtung, »ist Schottin, und
jeder weiß, dass sich diese nur wenig von Wilden unterscheiden.«
Erleichtert stellte Fiona fest, dass in dem
hübschen eleganten Haus von Lady Disher keine Herren zugegen waren. Herren
starrten sie immer so an.
Es wurde Tee mit
leckeren Sandwiches und Kleingebäck serviert. Die anderen Damen hatten, wie es
der vornehmen Art entsprach, kundgetan, dass sie nicht mehr Appetit als ein
Vogel hätten, und sahen erstaunt, wie Miß Fiona Sinclair ruhig ein belegtes
Brot nach dem anderen verschlang.
Fiona war in diesem
Kreis so ziemlich die einzige Unverheiratete. Die anderen waren recht flotte
junge Ehefrauen und ausgefallen gekleidet.
Die Lakaien waren
Schwarze. Sie interessierten Fiona offenkundig mehr als die geladenen Gäste.
»Meine Lakaien
scheinen Sie zu faszinieren«, bemerkte Lady Disher bissig, während sie sich im
stillen fragte, ob diese hinreißende Schönheit je aufhören würde zu essen.
»Ich habe noch nie
jemanden gesehen, der schwarz ist«, sagte Fiona.
Lady Disher
blinzelte.
Fionas weiße,
graziöse Hand glitt nach vorn, um nach einem Stück Gebäck zu greifen.
Lady Disher fühlte,
wie ihre Gäste unruhig wurden, und sagte fröhlich: »Spielen Sie Karten, Miß
Sinclair?«
»0 nein«, erwiderte
Fiona mit süßer Stimme.
»Aber wir anderen
spielen liebend gern eine Runde Whist oder Pharo. Wollen Sie nicht mitmachen?«
»Bestimmt ist das
alles zu viel für mein armes Hirn«, sagte Fiona mit einem bezaubernden Lächeln.
»Vielleicht wäre es besser, wenn ich nur zusähe. Außerdem habe ich gehört, dass
man um Geld spielt, und ich habe keines bei mir.«
Die Damen
wechselten verstohlene Blicke. Mr. Sinclair musste tatsächlich ein Geizkragen
sein. Schließlich hatte »La Belle Assemblée« in ihrer neuesten Ausgabe
festgestellt: »Keine Dame der Gesellschaft erscheint in der Öffentlichkeit ohne
ein Handtäschchen, das ihr Taschentuch, ihren Fächer, ein Riechfläschchen und
Spielgeld enthält.« Dass eine Dame bei einem gesellschaftlichen Ereignis in
London erschien, ohne auch nur einen Penny bei sich zu haben, hatte man noch
nie gehört -jedenfalls nicht, ehe Miß Fiona Sinclair aufgetaucht war.
»Machen Sie sich
keine Sorgen, was das betrifft«, sagte Lady Disher. »Wie nehmen auch mit Ihren
Vokalen vorlieb.«
»Wie überaus
freundlich von Ihnen«, antwortete Fiona. »Das kommt von meinem schottischen
Akzent, wissen Sie. Ich hatte schon Angst, meine Vokale würden hier nicht
akzeptiert. Sie sind eine Kleinigkeit zu breit.«
Eine Spielerin mit
hartem Gesichtsausdruck namens Mrs. Carrington mischte sich dröhnend ein: »Lady
Disher meint, dass Sie, wenn Sie jemandem Geld schulden, einfach die vier
Vokale IEEI schreiben können. Diese bedeuten: >Ich erstatte es Ihnen<,
und Sie versprechen damit, Ihre Schulden zu
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