01 - Tage der Sehnsucht
überhäufen«, mutmaßte Rainbird, während seine
Gedanken fieberhaft arbeiteten. »Sowohl Sie als auch als Luke sind beide oft hier.«
»Das Ehepaar ist
oft abwesend, darum. Sie bleiben über Nacht in Kensington«, erklärte Mr.
Blenkinsop. »Bei Mr. Johnson.« Er kniff eines seiner Augen zusammen. »Lord
Charteris hat keine Ahnung, was da direkt vor seiner Nase passiert. Allerdings
haben sie auch seit zehn Jahren das Bett nicht mehr geteilt.«
Sobald Rainbird
wieder zu Hause war, bat er Miß Sinclair um eine Unterredung. Er berichtete ihr
von Sir Edwards üblem Ruf.
»Vielen Dank für
Ihre Besorgnis, Mr. Rainbird«, sagte Fiona. »Aber ich ziehe es vor, mir über
den Charakter meiner Freunde ein eigenes Urteil zu bilden. Sir Edward ist der
einzige Mensch in London, der, um mich zu sehen, seine Angst vor der Ansteckung
überwunden hat.« Rainbird wollte protestieren. Aber sie hob abwehrend die Hand.
»Nein, Mr. Rainbird. Und bitte auch keine Verschwörungen mehr, um das Herz von
Lord Harrington zu gewinnen! Ich möchte ihn nie wieder sehen.«
Letzteres glaubte
ihr nun wieder Rainbird nicht. Es kam ihm der Gedanke, dass sich der Earl
vielleicht verpflichtet fühle, rettend herbeizueilen, wenn man ihm von Sir
Edwards Annäherungsversuchen berichtete. Mit etwas Glück packte ihn vielleicht
sogar die Eifersucht.
Der getreue Butler
machte sich also durch die staubigen Straßen auf den Weg zum Hanover Square. Am
Tag war die Hitze unerträglich gewesen. Es ging sogar das Gerücht um, Napoleon
habe Zauberer angestellt, die England wie einen Keks rösten sollten.
Die Straßen waren
nicht sauber gefegt, und nur die Hauptverkehrsstraßen hatten Abzugskanäle. Ein
Wasserwagen fuhr vorbei, dem ein Schwarm halbnackter, zerlumpter Kinder folgte.
Das Wasser floss aus einem hölzernen Tank, der unter der Achswelle des Wagens
hing.
Rainbird begann von
einer Stellung auf dem Land zu träumen, von einem Herrenhaus, das von Kühle
spendenden grünen Bäumen umgeben war, weit weg von dem Gestank Londons mit
seiner mangelhaften Kanalisation. Überall lauerten Krankheiten. Miß Fiona hatte
darauf bestanden, dass alles Trinkwasser abgekocht wurde. MacGregor hatte
versucht, dagegen zu protestieren, bis Miß Fiona dem Koch einen aus der Zeitung
herausgerissenen Artikel vorlegte, wonach in den Häusern Londons die
Trinkwasserpumpen gefährlich nahe bei den Senkgruben lagen.
Eine ungewöhnliche
Frau, diese Miß Fiona, dachte Rainbird. Er klopfte an die Tür von Lord
Harringtons Stadthaus, in der Hoffnung auf einen kleinen Plausch mit einem
freundlichen Butler. Aber bei dem dicken, missbilligend dreinschauenden
Gesicht, das ihn durch den Türspalt anblickte, verging ihm die Lust.
»Der Butler von Miß
Sinclair«, erklärte Rainbird möglichst wichtigtuerisch, »hat einen
persönlichen, Brief an Lord Harrington zu übergeben.«
»Seine Lordschaft
ist auf Harrington Court«, erwiderte der Butler. »In Kent«, fügte er trübsinnig
hinzu, als ob er sich den Besitz noch weiter weg wünsche. »Ich werde den Brief
weiterleiten.«
»Ich muss ihn
persönlich übergeben«, sagte Rainbird und wich zurück, weil er keinerlei
Schreiben besaß.
»Wie Sie wollen«,
knurrte der dicke Butler ärgerlich und schlug die Tür. zu.
Rainbird ging
langsam in die Clarges Street zurück. In der Gesindestube war es drückend heiß.
Mrs. Middleton saß über eine Näharbeit gebeugt.
»Würden Sie ein bisschen
mit mir spazieren gehen, Mrs. Middleton?« fragte Rainbird.
Lizzie sah enttäuscht
auf. Sie ging so gerne in den Parkanlagen spazieren, aber an diesem Tag hatte
Rainbird noch nicht gesagt, dass er die Dienstboten ausführen wolle.
»Tut mir leid,
Lizzie«, meinte Rainbird. »Setz dich, wenn du deine Arbeit gemacht hast, auf
die Außentreppe und schöpfe da ein bisschen Luft. Was ich Mrs. Middleton zu
sagen habe, ist privater Natur.«
Mrs. Middleton war
ganz aufgeregt, als sie an Mr. Rainbirds Arm das Haus verließ. Sie hoffte,
Vorübergehende würden sie für ein verheiratetes Paar halten. Zaghafte Hoffnung
begann sich in der Brust der alten Jungfer zu regen, während Rainbird
sie im kühlen Schatten der Bäume durch den Green Park führte und sagte, er
halte Ausschau nach einem »ruhigen Plätzchen«. Gott gebe mir den Mut, seine
Annäherungsversuche nicht zurückzuweisen, betete Mrs. Middleton.
Nachdem sie auf
einer Bank Platz genommen hatten, begriff sie anfangs gar nicht richtig, wovon
Rainbird sprach. Denn ihre tiefe Enttäuschung über
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