01 - Tage der Sehnsucht
des Butlers ausbleibende
Annäherungsversuche machten sie taub gegenüber allem anderen. Sie stieß einen
resignierten kleinen Seufzer aus. Sie war neununddreißig und hatte ein Gesicht
wie ein ängstliches Kaninchen. Nun bat sie Rainbird zu wiederholen, was er
gesagt hatte, und endlich begriff sie, dass er um Miß Fiona besorgt war.
Sie vergaß bald
ihre eigenen Probleme als spätes Mädchen, während sie von Sir Edwards
schlechtem Ruf hörte. Der Umstand, dass Rainbird sie um Rat fragte, verlieh ihr
eine gewisse Beschwingtheit.
»Mr. Sinclair ist
gegenwärtig für alles blind und taub«, berichtete Rainbird. »Meine Schultern
tun mir schon von der Anstrengung weh, ihn nachts zu seinem Bett
hinaufzutragen. Seit er diesen Sir Andrew Strathkeith getroffen hat, ist er
nicht einen Augenblick nüchtern gewesen.«
»Aber Lord
Harrington ... Hat Miß Fiona Ihnen anvertraut, was sie ihm gegenüber
empfindet?«
Rainbird schüttelte
den Kopf. Von jenem Gespräch in der Piccadilly Street, bei dem Fiona ihre
tatsächliche Herkunft enthüllt hatte, würde er nie jemand anderem erzählen.
»Alles, was Miß Fiona gesagt hat«, erwiderte er seufzend, »ist, dass sie nicht
mehr an dem Earl interessiert ist. Was für Gefühle sie für Sir Edward hegt, hat
sie mir nicht gesagt. Aber ihre Augen leuchten auf, wenn sie ihn erblickt. Lord
Harrington ist auf seinen Gütern in Kent. So kann er nicht einmal eifersüchtig
gemacht werden.«
»Dann werden wir
ihm schreiben«, meinte Mrs. Middleton mit Entschiedenheit.
»Dienstboten
pflegen nicht an Earls zu schreiben«, gab Rainbird zu bedenken.
»Dann schicken wir
eben einen anonymen Brief«, entgegnete Mrs. Middleton. »Wenn er nur eine
Kleinigkeit für Miß Fiona übrig hat, sollte ihn das veranlassen, schleunigst
zurückzukommen.«
Einen Tag, bevor der anonyme Brief ankam,
erhielt Lord Harrington ein langes Schreiben seiner Anwälte in Edinburgh. Sie
legten mit trockenen Worten dar, dass es erstaunlich leicht gewesen sei, alles
über die Sinclairs herauszufinden. Denn Edinburgh Sei, verglichen mit London,
immer noch eine kleine Stadt und jeder, mache es sich dort zur Aufgabe, über
alle anderen Bescheid zu wissen.
Es stand alles
darin. Fiona sei als kleines Kind unbekannter Herkunft auf den Stufen von St.
Giles gefunden und dann ins Waisenhaus gebracht worden, wo man sie später als
billige Arbeitskraft beschäftigt habe. Danach sei sie von Mr. Jamie Sinclair
aufgenommen worden, jenem verstorbenen Menschenfreund, der besagtem Waisenkind
seinen Namen gegeben und es sich zur Aufgabe gemacht habe, ihm alle Vorzüge
einer feinen Erziehung angedeihen zu lassen, obgleich er das Mädchen eigentlich
mehr als Mündel denn als Tochter aufgenommen habe. Fiona sei dann in die Obhut
seines Bruders Mr. Roderick Sinclair übergegangen, eines Anwalts im Ruhestand
und leichtfertigen Menschen mit geringem Vermögen und starkem Hang zum Alkohol.
Mr. Roderick Sinclair
habe seinen Haushalt aufgelöst und sei mit Fiona in den Süden gereist, mit der
Erklärung, er beabsichtige, sie auf den Heiratsmarkt zu bringen. Angewidert
verzog Lord Harrington den Mund. Was für ein Abenteurerpaar sie doch waren und
einer so schlecht wie der andere! Und doch konnte er sich Fiona nur als
unberührtes Mädchen denken. Geschickt und schlau mochte sie ja sein, doch er
war erfahren genug, um die Unschuld hinter ihrer Leidenschaft zu spüren.
Er sagte sich, er
müsse den Anwälten dankbar sein, dass sie ihm seine Verliebtheit ausgetrieben
hätten. Aber obgleich er sie nicht für sich wollte, beabsichtigte er dennoch
nicht, sich ganz von ihr fernzuhalten, um dann vielleicht mitansehen zu müssen,
wie ihr Ruf ruiniert wurde und sie keine andere Wahl mehr hatte, als in die
Halbwelt abzusinken.
Nach einigem
Nachdenken bat er daher seine Anwälte, so viel Mittel aufzuwenden, wie ihnen
angemessen erschien, um die Spuren von Miß Sinclairs fragwürdiger Geburt zu
tilgen. Damit künftighin feststand, dass Fiona Sinclair eine Verwandte der
Brüder Sinclair und von einwandfreier Geburt war, sollten sie alle in Frage
kommenden Gegenzeugen bestechen. Das Wichtigste war jedoch eine große Schenkung
an das Waisenhaus. Dadurch sollte erreicht werden, dass es künftig hieß, Mr.
Jamie Sinclair habe keinen Bankert, sondern eine lange verloren geglaubte
Verwandte aus dem Waisenhaus geholt. Nachdem der Earl diese Anweisungen erteilt
hatte, fühlte er sich frei von Fiona Sinclair.
Das Wetter war
unglaublich heiß, und er ging daran,
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