01 - Tage der Sehnsucht
würde. In
einer Zeit, in der man glaubte, man könne Gelbsucht heilen wenn man jeden
Morgen neun lebende Läuse verschluckte, und ein an den Hals gebundener Frosch
bringe, Nasenbluten zum Stillstand, war es eine glückliche Fügung für Alice, dass
Fiona in Edinburgh mehrere bedeutende Ärzte kennengelernt hatte. Diese waren
sich nicht zu gut dafür gewesen, unentgeltlich am Waisenhaus zu arbeiten, wenn
dort eine Epidemie ausbrach, was häufig vorkam.
Von ihnen hatte
Fiona manches abgeguckt, und MacGregor, der Koch, den sie mit ihrer sanften
Stimme und ihrer Höflichkeit zu ihrem ergebenen Sklaven gemacht hatte,
bereitete, ohne zu murren, all die Kräutertränke zu, die sie haben wollte. Auch
frisches Obst und Gemüse erschienen jetzt regelmäßig auf dem Tisch der
Dienerschaft. Und Rainbird war beauftragt, ihnen jeden Tag einen Löffel Lebertran
zu verabreichen.
Die kleine Lizzie vermisste
mit freudiger Verwunderung ihre Flecken, als sie sich eines Morgens auf die
Zehenspitzen stellte und in das grünliche Glas über dem Kamin in der
Gesindestube spähte. Frische Luft sei wichtig, erklärte Miß Sinclair immer
wieder. Mr. Rainbird erhielt die Anweisung, mit seiner kleinen Truppe in den
Parkanlagen spazieren zu gehen, sobald die Arbeit beendet war.
Alice fühlte sich
zwar noch schwach und lustlos, schien aber die schlimmsten Fieberanfälle und
den stärksten Hautausschlag bereits hinter sich zu haben, als Sir Edward Kirby
auf der Bildfläche erschien. Fiona wußte nichts von der Abreise Lord
Harringtons aus der Stadt und hatte verbittert angenommen, er fürchte sich wie
alle übrigen vor der Ansteckung.
Umso dankbarer war
sie Sir Edward für seine Freundlichkeit und seinen Mut und verplauderte mit
ihm, obwohl sie normalerweise in Abwesenheit Mr. Sinclairs einen Herrn nicht
empfangen hätte, gleich eine halbe Stunde. Sir Edward -wegen seines
jugendlichen Aussehens altersmäßig schwer einzuordnen - war weit
herumgekommen und konnte Fiona eine Menge spannender Geschichten von seinen
Reisen in die Türkei erzählen.
Am folgenden Tag
kam er wieder. Er war fröhlich, er war amüsant, und er wirkte vollkommen
harmlos. Fiona begann Lord Harrington zu vergessen. Und Rainbird fing an, sich
Sorgen zu machen.
Obwohl er streng
darauf achtete, dass während der Besuche Sir Edwards die Tür zum Salon immer
offen blieb und sich entweder Joseph oder er selbst draußen in der Halle aufhielten,
bedrückte ihn das Gefühl, dass er nicht genug zum Schutze Fionas täte. So beschloss
er, in den »Eiligen Lakaien«, das Zentrum des Klatsches und Tratsches, zu
gehen, um mehr über den neuen Gast herauszufinden.
Bei seinem Eintritt
in die Gaststube erblickte er Joseph. Dieser war leicht beschwipst in ein Gespräch
mit Luke vertieft, So
dass
er Rainbird nicht bemerkte. Luke machte ja ein verdammt langes Gesicht, stellte
Rainbird fest, ohne weiter darüber nachzudenken. Plötzlich hörte er seinen
Namen rufen und sah den stattlichen Blenkinsop am anderen Ende des
Schankraumes.
Nach einigen belanglosen
Höflichkeiten kamen die beiden Männer zur Sache und tauschten Klatsch über ihre
Herrschaften aus, wie das für höhere Diener typisch ist. Lady Charteris, die
oft mit der Diskretion und Loyalität ihrer Diener prahlte, wäre entsetzt
gewesen, wenn sie gehört hätte, wie ihre Affäre mit einem gewissen Mr. Johnson
so offen erörtert wurde.
Beide Männer
tranken Punsch. Rainbird bestellte und zahlte gleich noch zwei weitere Krüge.
Beiläufig sagte er: »Sir Edward Kirby hat uns kürzlich besucht.«
»Nun, das war wohl
zu erwarten«, meinte Blenkinsop gewichtig.
»Warum?«
»Weil sie bei ihm
jung und jungfräulich sein müssen«, erwiderte Blenkinsop. »Man nennt ihn den
Ruin der Debütantinnen. Es ist großartig, wie er das macht. Da gab es zum
Beispiel vor einigen Jahren diese Miß Pallister, eine glänzende Schönheit. Sie
gab sich ihm hin. Es war ein furchtbarer Skandal. Er ging ins Ausland, und Mr.
Pallister musste die Mitgift verdoppeln, um sie noch unter die Haube zu
bringen.«
»Eine Schande!«
sagte Rainbird entsetzt.
»Na ja, er ist eben
ein Don Juan«, meinte Blenkinsop nachsichtig. »Es ist ganz in Ordnung, wenn die
Herren Draufgänger sind. Aber wenn sich eine Dame so weit vergisst, ist das
etwas anderes. Darum kann ich auch nicht mehr für Lady Charteris arbeiten. Das
können Sie mir glauben! Ein Mann von meinem Rang muss sich da woanders umsehen,
Mr. Rainbird.«
»Sie scheint Sie
nicht gerade mit Arbeit zu
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