01-Unsterblich wie die Nacht-redigiert-25.10.12
nicht sein. Er konnte nicht gerade mit ihr gesprochen haben. In Gedanken. Ganz bewusst.
Einen Moment noch blickten sie sich in die Augen, dann wandte er sich ab und sah sich wieder im Raum um.
In diesem Moment fühlte sie sich einsamer als je zuvor in ihrem Leben. Als wäre er, für einen Augenblick nur, Teil ihrer Welt gewesen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie sich als Ganzes gefühlt, und nun … war dieses Gefühl wieder verschwunden.
Sie hatte sich das nur eingebildet. Er hatte nicht mit ihr geredet. Sie hatte sich verhört, das kam öfter vor. Es war verrückt, so etwas überhaupt für möglich zu halten. Und was den bizarren Gedanken betraf, den er geäußert hatte: Sie musste ihn missverstanden haben.
Angelica ging weiter, lächelte einer Bekannten zu. Sie musste an einen Satz von Shakespeare denken: »Zweifel sind Verräter. Sie rauben uns, was wir gewinnen können, wenn wir nur einen Versuch wagen.« Sie flüsterte die Worte vor sich hin.
Was, wenn Shakespeare nun recht hatte? Wenn es tatsächlich noch jemanden wie sie gab? Wenn sie sich nun nicht geirrt hatte?
Nein, es konnte nicht sein. Sie war einfach durcheinander, dieses Gedränge, der Lärm, das alles machte sie schwindelig und nervös. Sie musste weg.
Die Quadrille war zu Ende, und nun spielte das Orchester zu einem Walzer auf, dem ersten an diesem Abend. Rasch füllte sich die Tanzfläche mit elegant gekleideten Paaren, deren Konversation erstarb, während sie sich im Takt zur Musik drehten. Eine Frau mit leuchtend roten Haaren ging an ihr vorbei, gefolgt von einem eitlen jungen Dandy. Bevor sie es verhindern konnte, hörte sie, was sie dachten:
Folgt mir der Wicht etwa?
Himmel! Sie hat die kleinsten Füße, die ich je gesehen habe!
Angelica konnte nicht anders, sie prustete hinter vorgehaltener Hand los. Ihre Anspannung ließ nach. Gott, das war wirklich mal was Neues! Die meisten Männer, die sie kannte, schauten einer Frau auf den Busen, auf die Fußgelenke oder die Taille, aber doch nicht auf die Füße!
Man hat dich wohl sehr behütet, wenn du noch nie etwas von einem Fußfetischisten gehört hast.
Angelica stockte der Atem. Da war sie wieder, diese Stimme. Diese tiefe, heisere Stimme, die ihr solche Angst einjagte. Es gab also doch jemanden, der in Gedanken mit ihr sprechen konnte!
Ihre Finger wurden eiskalt. Panisch blickte sie sich um.
Wer bist du? , dachte sie erregt. Bitte sag mir, wer du bist!
4. Kapitel
Alexander wusste selbst nicht, was in ihn gefahren war. Wieso gab er sich mit dieser Frau ab?
Sie konnte seine Gedanken lesen, gehörte also offensichtlich zu seiner Rasse, obwohl er sie nicht kannte. James hatte ihm eine Liste mit den Namen aller Mitglieder des Nordclans zur Verfügung gestellt. Dort stand auch, wo sie wohnten und welche sich derzeit im Territorium eines anderen Clans aufhielten. Sie musste demnach zu Besuch hier sein.
Verflucht! Da lief ein Mörder frei herum, der ein neues Zeitalter der Verfolgung provozieren wollte. Er durfte seine Zeit nicht mit neuen Bekanntschaften vertrödeln … auch nicht mit dieser schwarzhaarigen Schönheit.
Alexander blickte sich stirnrunzelnd um. Die Informanten, mit denen er sich getroffen hatte, waren vor wenigen Minuten gegangen, und was sie ihm mitzuteilen gehabt hatten, war mehr als mager gewesen. Es gab so gut wie keine Anhaltspunkte, aber die Londoner Polizei stellte mehr Fragen, als ihnen lieb sein konnte.
Morgen würde er sich mit dem Scotland-Yard-Verbindungsmann des Clans treffen. Von dieser Seite erwartete Alexander jedoch wenig Hilfe; vielmehr machte er sich Sorgen, dass die Polizei unangenehme Schlussfolgerungen ziehen könnte, was ihren Serienmörder betraf.
Es war Zeit zu gehen. Sergej wusste, dass sie ihm auf der Spur waren. Er wusste es spätestens, seit er die beiden Clanmitglieder ermordet hatte, die James vor einigen Wochen zu seiner Verfolgung abgestellt hatte. Es war kaum anzunehmen, dass er ausgerechnet auf einem Ball auftauchen würde, also bestand auch kein Grund, warum er noch länger hier bleiben sollte.
Tief in Gedanken versunken, setzte sich Alexander in Bewegung.
Die Opfer waren ausnahmslos junge Damen der feinen Gesellschaft. Sergej lockte sie in heruntergekommene Stadtviertel oder in die Wälder um London, wo er sie dann einfach liegen ließ. Seine Visitenkarte war eine Halskette aus blutroten Granaten, die er dem Opfer umhängte.
Damit, so hoffte Alexander, würden sie ihn kriegen. Es durfte nicht allzu schwer sein,
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