01-Unsterblich wie die Nacht-redigiert-25.10.12
Zuhörer - teils Staunen, teils regelrechter Schrecken - sichtlich nervös.
»Ich habe versucht, ihre Gedanken zu lesen, aber …« Kiril schwieg. Dass er es nicht geschafft hatte, in Angelicas Gedanken einzudringen, frustrierte ihn zutiefst. »Sie weigert sich, mir Zugang zu gewähren. Und ich fürchte, sie hat sehr viel gesehen.«
18. Kapitel
Seit Angelica in den verhassten Raum gezerrt worden war, hing ihr Blick an Alexanders ausdruckslosem Gesicht. Wie konnte er nur so ruhig dastehen? Er war ein Vampir. Ein Vampir!
Sie hatte versucht, das alles zu begreifen, während sie wegrannte, aber es war ihr nicht gelungen. Unmöglich. Es konnte unmöglich wahr sein.
Und doch war es wahr, alles. Sie hatte gesehen, wie die Zähne dieses Jungen länger wurden, hatte gesehen, wie sich seine Pupillen weiteten, wie er das arme Baby angestarrt hatte. Gott, sie war zur Salzsäule geworden. In jenen fürchterlichen Sekunden, als sie glaubte, sie würden das Baby töten, hatte sie kein Glied rühren können. Sie hätte diesen Säugling seinem Schicksal überlassen.
Angelica zitterte wie Espenlaub, sie zitterte so stark, dass ihr schwindlig wurde, so stark, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Nein, sie durfte nicht wieder hysterisch werden!
Beim letzten Mal hatte sie fast fünf Minuten gebraucht, bis sie wieder einigermaßen normal atmen konnte. Aber diesmal hatte sie keine fünf Minuten übrig. Wenn sie herausfanden, dass sie alles wusste … dass sie wusste, was sie waren … Vampire … dann würden sie sie, ohne zu zögern, töten.
Sie sieht aus, als wollte sie weglaufen. Ich sollte sie besser festhalten.
»Fass mich nicht an!«, fauchte Angelica und wich vor Kiril zurück - seine Gedanken hatten sich ungebeten in ihren Kopf gestohlen. Verdammt, sie musste aufpassen, oder ihre Blockade würde sich auflösen.
»Angelica, ich verstehe nicht, wie du hierher kommst, aber bitte tu, was man dir sagt, und alles wird gut.« Joanna trat ein paar Schritte auf Angelica zu.
Angelica, die Joanna erst jetzt bemerkte, stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
»Ach, Joanna, ich dachte, ich werde verrückt, ehrlich. Ich dachte …« Etwas in Joannas Miene brachte sie zum Schweigen. Sie horchte kurz in die Gedanken ihrer Freundin hinein und erfuhr dort mehr, als ihr lieb war.
Sie kann es unmöglich wissen. Selbst wenn sie etwas gesehen hat, sie würde es nicht glauben. Sie würde nicht glauben, dass wir Vampire sind. Gott, bitte, hoffentlich weiß sie es nicht. Hoffentlich weiß sie es nicht.
»Aber du warst meine Freundin! Wie konntest du … du konntest doch unmöglich …« Angelica schwieg. Ihre Augen wurden feucht.
Dann wurden sie eisig.
Also war nichts so, wie es schien. Joanna, Alexander und die anderen beiden, alle waren sie Betrüger.
Alexander hatte sie betrogen, Joanna hatte sie betrogen, und sie … sie hatte Mikhail und Lady Dewberry betrogen. War denn kein Ende dieser grässlichen Scharade abzusehen?
Auf einmal wollte sie nur noch nach Hause. Sie wünschte, sie hätte Alexander nie getroffen. Sie wünschte, sie hätte den Brief, in dem sie erfuhr, dass sie bankrott waren, nie erhalten. Sie wünschte, sie würde immer noch glauben, dass Vampire nur in Märchen und Legenden existierten …
Angelica blickte zu Alexander hinüber. Er stand vor dem Kamin und sah mit undurchdringlicher Miene ins Feuer. Sie wusste nicht, was er dachte, er hatte seine Gedanken vor ihr abgeschottet, ebenso wie sein Freund. Es erschreckte sie, wie wichtig er jetzt schon für sie war.
Ein Vampir …
Sie würde sterben.
»Angelica?«, rief Joanna besorgt aus, als ihre Freundin langsam zu Boden sank. Nur die abweisende Miene Angelicas hielt die Rothaarige davon ab, zu ihr zu eilen.
»Das ist kein Traum, oder?«, stammelte Angelica.
»Nein, kein Traum.«
James hatte das gesagt.
Angelica hob den Kopf. Auf einmal war sie ganz ruhig. Sie zitterte auch nicht mehr. »Ihr braucht meine Gedanken nicht zu lesen. Ich habe genug gesehen.«
Seltsam, wie ruhig man wurde, sobald man sein Schicksal akzeptiert hatte.
Sie würde sterben, so viel war klar. Was gab es da noch zu fürchten?
James schaute Alexander an. Seine Miene war ebenso ausdruckslos wie die seines Freundes. Um die Wahrheit zu sagen, so ein Fall war ihnen noch nie untergekommen. Es hatte zwar schon Menschen gegeben, die herausgefunden hatten, was sie waren, aber diese waren keine Gedankenleser gewesen. Es war ein Leichtes gewesen, ihr Gedächtnis zu manipulieren. Aber
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