01-Unsterblich wie die Nacht-redigiert-25.10.12
Nicholas gekannt zu haben, meine Lieben! Meiner hatte braune Haare und sündige schwarze Augen …. Ach, es ist jetzt über dreihundert Jahre her, aber diese Augen habe ich nicht vergessen …«
»Dreihundert Jahre?« Angelica konnte es kaum fassen. Warum war ihr nicht schon früher eingefallen, dass Vampire kein so kurzes Leben hatten wie Menschen? »Dann seid ihr also unsterblich?«
»Ach nein«, sagte Joanna sofort. Sie ließ ein Stück Zucker in ihren Tee plumpsen und rührte geschäftig um. Margaret machte sich inzwischen über ihr viertes Törtchen her.
»Wir können bis zu sechshundert Jahre leben, aber die meisten von uns werden nicht so alt.«
»Warum nicht?«
Joanna nahm einen Schluck Tee und zuckte die Schultern. Der Gedanke, eines Tages seine Gefühlsfähigkeit zu verlieren, war belastend, und sie sprach nur ungern darüber, genauso ungern, wie Menschen über den Tod sprachen.
»Ein solch langes Leben ist schwieriger, als man sich gemeinhin vorstellt«, warf Margaret ein. Traurig dachte sie an all die Freunde, die sich entschlossen hatten, weiterzuziehen in eine andere Welt. »Es kommt eine Zeit, in der sich die Seele verfinstert und man an nichts und niemandem mehr Freude hat. Wie lange, glaubst du, kann ein Schriftsteller schreiben, bis er die Freude daran verliert?«
Angelica wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Um ehrlich zu sein, konnte sie sich eine so lange Lebensspanne noch nicht einmal vorstellen.
»Schreiben war meine Leidenschaft. Hundert Jahre lang hat es mir eine Freude bereitet wie sonst nichts auf der Welt. Aber jetzt habe ich schon lange, lange keinen Stift mehr in die Hand genommen. Das Schreiben ist mir schal geworden, es bewegt meine Seele nicht mehr so wie früher.«
Margaret stellte resolut ihre Tasse ab. Sie schüttelte den Kopf, wie um diese trüben Gedanken loszuwerden. Sie lachte. »Hör sich mal einer an, wie ich rede! Der reinste Trauerkloß. Nein, nein, meine Lieben, es gibt noch viel, sehr viel in meinem Leben, das mir Freude bereitet.«
Angelica wollte eigentlich nicht weiter über dieses Thema reden, das den beiden anderen so offensichtlich unangenehm war, aber da gab es etwas, das sie noch nicht richtig verstanden hatte. Und sie hatte das Gefühl, dass es wichtig war.
»Ich verstehe nicht. Stirbt ein Vampir, wenn er nichts mehr fühlen kann?«
Joanna schüttelte den Kopf. »Nein. Der Verlust der Gefühle führt dazu, dass man den Lebenswillen verliert. Viele Vampire entschließen sich noch vor ihrem vierhundertsten Lebensjahr, aus dem Leben zu scheiden.«
Selbstmord. Das konnte Angelica nicht begreifen. Wie konnte man so etwas tun? Solange man lebte, gab es doch die Hoffnung auf Glück, oder nicht?
Nun, wenn sie hundert Jahre Verzweiflung hinter sich hätte, würde sie vielleicht auch anders denken.
Ihr fiel etwas ein, das Alexander zu ihr gesagt hatte.
»Stirbt deshalb eure Rasse aus?« Beide Vampire betrachteten sie erstaunt, und Angelica fühlte sich zu einer Erklärung genötigt.
»Alexander hat es erwähnt, aber er wollte nicht näher darauf eingehen.«
Margaret schob ihren Teller von sich und seufzte. »Ja, das stimmt. Weißt du, wir Frauen werden erst fruchtbar, wenn wir etwa fünfhundert Jahre alt geworden sind.«
»Aber die meisten verabschieden sich schon vorher?«, vermutete Angelica.
»Genau.« Joanna sagte es mit großer Endgültigkeit. »Und jetzt wird gegessen!«
Angelica versuchte, sich auf das Gehörte einen Reim zu machen, war aber einfach zu müde zum Denken.
Also machte sie sich über die Törtchen her. In den nächsten Minuten herrschte Schweigen. Erst als sie einmal aufblickte und sah, dass Margaret und Joanna sie mit identisch belustigten Mienen musterten, schluckte sie das Schokoladensoufflé herunter, das sie sich gerade in den Mund gestopft hatte.
»Was ist?«
Die Herzogin lachte. »Also, für so ein zartes Mädchen hast du aber einen mächtigen Appetit!«
Angelica biss schulterzuckend in ein Scone. »Ach nein. Ich bin nur richtig hungrig, wenn ich zu wenig geschlafen habe.«
Joanna wirkte einen Moment lang überrascht, fing sich aber gleich wieder.
»Ich muss mal Richtung Toilette, meine Lieben. Iss nicht die ganzen Crumpets auf, Angelica, ich habe noch nicht mal richtig angefangen!« Die Herzogin verschwand unter allgemeinem Gelächter.
Angelica blickte Joanna an.
»Was hattest du gerade?«
»Ach nichts. Ich dachte nur, bei uns Vampiren ist es genauso: Wir kriegen auch Hunger, wenn wir uns
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