01 - Wie Feuer im Blut
Höchstens fünfzehn, vermutete er. Er strich eine schwarze
Haarsträhne von ihrer Wange und fuhr mit dem Fingerknöchel die Konturen ihrer
hohen Wangenknochen nach. Bis ihm bewußt wurde, was er da tat, und erschrocken
die Hand zurückzog, als hätte er sich an ihrem Gesicht verbrannt. Die
Gereiztheit, die er diesem Mädchen gegenüber empfunden hatte, war inzwischen
einem anderen Gefühl gewichen ... aber welchem? Empfand er Bedauern, dass er
gezwungen gewesen war, nach England zurückzukehren? Dass er sich hier
plötzlich als Erbe eines riesigen Besitzes wiederfand, obwohl er lieber die
schwarze Erde Mississippis umgepflügt hätte? Neben ihm schlief ein Mädchen, das
nichts besaß, aber es hatte oben auf der Galerie gestanden und ihn mit dem wilden
Stolz eines jungen Kriegers angesehen.
Seine
Hand wanderte wieder zu ihrer Wange. Im Schlaf waren ihre Züge weich, und der
Hauch eines Lächelns lag auf ihrem Mund. Die Gewissheit ihrer Unschuld und
ihrer Einsamkeit erfüllte ihn mit einem beunruhigenden Verlangen, sie mit
jedem erdenklichen materiellen Besitz zu belohnen, den sie ihr Leben lang
hatte entbehren müssen. Er hatte Lust, ihr die besten Mahlzeiten vorzusetzen,
bis alle Spuren des Hungers aus ihren hohlen Wangen getilgt waren. Er wollte
sie in die feinsten Stoffe kleiden, die Pariser und Londoner Modehäuser zu
bieten hatten.
Warum?
Weil er
sich in der absurden Vorstellung gefiel, dass er das Vermögen, das sein Vater
und Bruder ihm vererbt hatten, nicht verdiente? Weil er genausowenig wie dieses
Mädchen dazu getan hatte, dieses Schicksal zu verdienen?
Er
berührte Bonnies Hand mit der Fingerspitze. Ein seit langem schon in ihm
schlummerndes Gefühl regte sich plötzlich wie ein Drachen, den man schon lange
totgesagt, unerwartet zum Leben erwacht. Abrupt drehte er sich dem Kamin zu,
zerstreute geschäftig die Glut und schüttete frische Kohlen auf den Rost. Er
kasteite sich dabei selbst, denn es war so warm im Zimmer, dass er zu
'schwitzen begonnen hatte. Er ging im Raum auf und ab, blieb stehen, bedeckte
das Gesicht mit den Händen und dachte, gütiger. Gott, was geschieht mit mir?
Er fing
sich wieder und starrte Bonnie an. Der Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn
und tropfte auf sein Hemd. Er sagte sich, dass er sich gleich morgen mit Birdie
Smythe in Verbindung setzen und ihm mitteilen musste, dass sich der Flüchtling
in seinem Haus befand. Schließlich hatte sich Bonnies Gesundheitszustand
wesentlich gebessert, aber er musste Smythe dennoch darauf aufmerksam machen,
dass sie natürlich noch so lange in Braithwaite bleiben müsse, bis sie kräftig
genug war, in Caldbergh überleben zu können.
Aber ihr
Platz war im Waisenhaus.
Er
hatte schließlich schon genug Verantwortung zu tragen und musste sich nicht
auch noch mit einem Caldbergh-Problemkind belasten.
»Damien?«
Er
drehte sich um und sah, dass Marianne in der Tür stand und ihn beobachtete.
»Hier
bist du also«, sagte sie und lächelte. »Ist mit Bonnie alles in Ordnung?«
»Ich
denke schon«, brummte er. »Überzeuge dich selbst. Nachdem sie sich die halbe
Vorratskammer von Braithwaite einverleibt hat, wird sie wohl bis morgen Abend
schlafen.«
»Wie
ermutigend.«
Er
murmelte wieder etwas, bevor er sich erneut dem Kamin zudrehte. Er hörte
Mariannes Kleid hinter sich rascheln.
Dann
berührte ihre Hand sacht seinen Rücken.
»Sie
ist eine sehr frühreife junge Dame.«
»Als
das würde ich sie kaum bezeichnen.«
»Nicht
als frühreif?«
»Nicht
als Dame.«
»Oh,
das könnte sie aber sein. Mit ein wenig Anleitung natürlich..«
Er
starrte ins Feuer.
»Du
hast doch nicht ernsthaft vor, sie zurückzuschicken oder?«
»Aber
natürlich. Hast du vergessen, Marianne, dass mein Aufenthalt in diesem Land nur
von begrenzter Dauer ist?«
Sie
legte die Arme um seine Taille und flüsterte: »Ich dachte, ich hätte dich
überzeugt, dass du hierbleiben musst.«
»Keine
Chance.«
»Damien?«
Sie presste ihr Gesicht an seinen Rücken und fuhr sacht mit den Händen über
seine Brust. »Hast du mich in den letzten paar Tagen vermisst?«
»Ich
war beschäftigt... und die Jungs ... «
»Ist es
so schwierig für dich?«
Er
runzelte die Stirn, weil er wußte, was sie meinte, es aber nicht wahrhaben
wollte.
»Louisa
hat dir sehr weh getan, deshalb kannst du einer Frau niemals gestehen, dass sie
dir etwas bedeutet, nicht wahr, Dame?«
»Ich
möchte darüber nicht reden.«
»Du
solltest heiraten.«
»Ich
sagte doch ...
Weitere Kostenlose Bücher