01 - Winnetou I
Leib, trug ihn zur Zeder und legte ihn dort nieder. Diesen unnützen Weg mußte ich machen, denn nach dem Wortlaut unserer Vereinbarung war ich gezwungen, die Zeder zu erreichen. Dann aber ließ ich ihn liegen und rannte schnell nach dem Fluß zurück, denn ich sah, daß viele Rote sich ins Wasser warfen, um herüberzuschwimmen, an ihrer Spitze Winnetou. Das konnte, falls sie nicht gewillt waren, Wort zu halten, gefährlich für mich und meine Gefährten werden. Darum rief ich, am Wasser angekommen, ihnen zu:
„Zurück mit euch! Der Häuptling lebt; ich habe ihm nichts getan; aber wenn ihr kommt, erschlage ich ihn. Nur Winnetou soll herüber; mit ihm will ich sprechen!“
Sie beachteten diese Warnung nicht; da bäumte Winnetou sich, um von allen gesehen zu werden, im Wasser empor und rief ihnen einige Worte zu, die ich nicht verstand. Ihm gehorchten sie, indem sie umkehrten, und er kam allein herüber. Ich erwartete ihn am Wasser und sagte, als er aus demselben stieg:
„Das war gut, daß du deine Krieger zurückschicktest, denn sie hätten deinen Vater in Gefahr gebracht.“
„Du hast ihn mit dem Tomahawk erschlagen?“
„Nein. Er zwang mich, ihn zu betäuben, weil er sich mir nicht ergeben wollte.“
„Und konntest ihn doch töten! Er war in deiner Hand!“
„Ich töte nicht gern einen Feind, am allerwenigsten aber einen Mann, welcher der Vater Winnetous ist, und den ich also lieb habe. Hier hast du seine Waffe! Du wirst bestimmen, ob ich gesiegt habe und ob man mir und meinen Gefährten Wort halten wird.“
Er nahm den Tomahawk, den ich ihm hinhielt, und sah mich lange, lange an. Sein Blick wurde mild und milder; der Ausdruck desselben steigerte sich zur Bewunderung, und dann rief er aus:
„Was ist Old Shatterhand doch für ein Mann! Wer kann ihn begreifen!“
„Du wirst mich verstehen lernen.“
„Du gibst mir dieses Beil, ohne zu wissen, ob wir dir Wort halten werden! Du könntest dich mit demselben wehren. Weißt du, daß du dich dadurch in meine Hände lieferst!“
„Pshaw! Ich fürchte mich nicht, denn ich habe für alle Fälle meine Arme und Fäuste, und Winnetou ist kein Lügner, sondern ein edler Krieger, der sein Wort nie brechen wird.“
Da streckte er mir die Hand entgegen und antwortete, indem seine Augen erglänzten:
„Du hast recht; du bist frei, und die andern Bleichgesichter sind es auch, außer dem Mann, welcher Rattler heißt. Du hast Vertrauen zu mir, könnte ich doch zu dir auch welches haben!“
„Du wirst mir so vertrauen wie ich dir; warte nur noch kurze Zeit. Komm jetzt mit zu deinem Vater!“
„Ja, komm! Ich muß nach ihm sehen, denn wenn Old Shatterhand zuschlägt, kann leicht der Tod eintreten, obwohl er dies nicht beabsichtigte.“
Wir gingen nach der Zeder und banden dem Häuptling die Arme los. Winnetou untersuchte ihn und sagte dann:
„Er lebt, wird aber später erwachen und nachher einen lange schmerzenden Kopf haben. Ich darf nicht hier bleiben und werde ihm einige Männer herübersenden. Mein Bruder Old Shatterhand mag mit mir kommen.“
Dies war das erstemal, daß er mich ‚mein Bruder’ nannte. Wie oft habe ich später dieses Wort aus seinem Mund gehört, und wie ernst, treu und wahr ist dasselbe stets gemeint gewesen!
Wir gingen wieder an den Fluß und schwammen hinüber. Die Roten standen drüben und sahen uns gespannt entgegen. Jetzt, da wir so friedlich nebeneinander herschwammen, merkten sie nicht bloß, daß wir einig waren, sondern sie mußten auch erkennen, wie falsch sie mich beurteilt hatten, als ich der Gegenstand ihres Spottes und Hohngelächters gewesen war. Als wir an das Ufer stiegen, sagte Winnetou, indem er mich bei der Hand nahm, mit lauter Stimme:
„Old Shatterhand hat gesiegt. Er und seine drei Gefährten sind frei!“
„Uff, uff, uff!“ riefen die Apachen.
Tangua aber stand da und blickte finster drein. Mit ihm hatte ich noch abzurechnen, denn seine Lügen und seine Bemühungen, uns den Tod zu bringen, mußten bestraft werden, nicht bloß um unsertwillen, sondern auch der Zukunft und derjenigen Weißen wegen, mit denen er später zusammentreffen würde.
Winnetou schritt mit mir an ihm vorüber, ohne einen Blick auf ihn zu werfen. Er führte mich zu den Pfählen, an denen die drei Kameraden hingen.
„Halleluja!“ rief Sam. „Wir sind gerettet; wir werden nicht ausgelöscht! Mensch, Mann, Freund, Jüngling und Greenhorn, wie habt Ihr das nur angefangen?“
Winnetou gab mir sein Messer und sagte:
„Schneide sie
Weitere Kostenlose Bücher